Juncker will EU-weite Einführung des Euro

European Commission President Juncker addresses the European Parliament during a debate on The State of the European Union in Strasbourg
European Commission President Juncker addresses the European Parliament during a debate on The State of the European Union in StrasbourgREUTERS
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EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will den Euro in den ärmeren osteuropäischen Ländern der EU einführen. Das sagte er in seiner "Rede zur Lage der Union". Auch den Schengenraum ohne Grenzkontrollen will er auf alle EU-Länder ausweiten.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sorgt mit seiner "Rede zur Lage der Union" vor dem Europaparlament für Aufsehen. Er will den Euro in den ärmeren osteuropäischen Ländern der EU einführen und auch den Schengenraum ohne Grenzkontrollen auf alle EU-Länder ausweiten. Zudem soll die EU weiter wachsen. Bis 2025 könnte sie 30 Mitglieder haben. "Jetzt ist die Zeit für ein stärkeres, demokratischeres Europa", sagt Juncker.

Euro-Länder

"Der Euro sollte mehr sein als die Währung einer Reihe ausgewählter Länder", betont Juncker und verweist darauf, dass bis auf Großbritannien und Dänemark alle EU-Länder laut EU-Verträgen verpflichtet und berechtigt seien, der europäischen Gemeinschaftswährung beizutreten.In 19 der 28 Staaten der Europäischen Union wird derzeit mit dem Euro bezahlt. Seit 1999 haben Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien die Gemeinschaftswährung. Später kamen nach und nach Griechenland, Slowenien, Malta und Zypern, Slowakei, Estland, Lettland und Litauen dazu.

Als offizielles Zahlungsmittel ist der Euro nicht eingeführt in den EU-Staaten Bulgarien, Dänemark, Kroatien, Polen, Rumänien, Schweden, Tschechien und Ungarn. Großbritannien, das derzeit seinen Austritt aus der EU verhandelt, war nie Teil des Euroraums.

Der EU-Kommissionspräsident fordert weiter, dass Bulgarien und Rumänien unverzüglich den Schengen-Raum öffnen - wenn die EU den Schutz der Außengrenzen verstärke. "Europa ist keine Festung und darf auch nie eine werden", stellt Juncker klar, der der Überzeugung ist, dass die EU ihre Außengrenzen bereits heute wirksamer schütze.

Europäischer Finanzminister und nur ein Präsident

Juncker hat sich für die Zusammenlegung seines Postens mit dem des EU-Ratspräsidenten und für die Schaffung des Amtes eines europäischen Finanzministers ausgesprochen. Dieser sollte zugleich die Sitzungen der Eurozone leiten. Er sollte positive Strukturreformen unterstützen und alle Instrumente der EU koordinieren, wenn ein Land von einer Rezession oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten getroffen werde.

Juncker plädierte dafür, dass bisher einstimmige Entscheidungen zur Steuerbemessungsgrundlage, zur Mehrwertsteuer und zur Finanztransaktionssteuer künftig mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden. Europa müsse schnelle und effizienter entscheiden, sagte der Kommissionschef.Generell zeigt sich Juncker optimistisch. "Europa hat wieder Wind in den Segeln", sagt er. Es biete sich das Fenster einer Chance.

Der Euro-Rettungsfonds ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) soll laut Juncker schrittweise zu einem Europäischen Währungsfonds ausgebaut werde. Im Dezember wolle die EU-Kommission entsprechende Vorschläge machen. Der Idee eines gesonderten Euro-Parlaments für die Mitgliedsländer der Währungsunion kann Juncker dagegen nichts abgewinnen. "Das Parlament des Euroraums ist dieses Parlament", sagte er vor den Straßburger Abgeordneten.

Gegen Zwei-Klassen-Gesellschaft

Im Streit um die Entlohnung ausländischer Arbeitnehmer in der EU will Juncker neue Kontrollmöglichkeiten Menschen, die am gleichen Ort gleiche Arbeit leisteten, sollten auch das gleiche Gehalt bekommen. Juncker sprach sich hier für eine neue EU-Aufsichtsbehörde aus.

Gleichzeitig kritisierte Juncker eine anhaltende Diskriminierung der Osteuropäer, etwa bei der Qualität von Lebensmitteln. Es sei nicht hinnehmbar, dass es in Osteuropa qualitativ schlechtere Lebensmittel gebe. "Die Slowaken haben nicht weniger Fisch in Fischstäbchen verdient." EU-Recht verbiete solche Praktiken. "Europa muss mit beiden Lungenflügeln atmen, ansonsten gerät unser Kontinent in Atemnot." Es könne keine Bürger zweiter Klasse geben.

Es sei auch nicht hinnehmbar, wenn 2017 noch Kinder an Krankheiten sterben würden, die in Europa längst ausgerottet sein müssten, sagte Juncker. So müsse in Rumänien und in Italien gleichermaßen ein Zugang zu Impfstoffen gewährleistet sein. "Vermeidbare Todesfälle darf es in Europa nicht geben."

Terror: "Reagieren nicht schnell genug"

Die EU müsse auch stärker bei der Terrorbekämpfung werden, "wir reagieren nicht schnell genug", sagte Juncker. Der EU-Kommissionschef will daher eine europäische Aufklärungseinheit schaffen, die sicherstellt, dass Daten zwischen der Polizei und Nachrichtendiensten ausgetauscht werden. Auch die im Aufbau befindliche Europäische Staatsanwaltschaft soll mit der Verfolgung von Terrorismus betraut werden, sagte Juncker.

Eine EU-Mitgliedschaft der Türkei hat Juncker "auf absehbare Zeit" ausgeschlossen: "Die Türkei entfernt sich seit geraumer Zeit mit Riesenschritten von der Europäischen Union".

Kein "blauäugiger Befürworter" von Freihandel

Juncker plädiert für Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit Australien und Neuseeland. Der Handel biete neue Chancen auf Arbeitsplätze in der EU, jede Exportmilliarde stehe für 14.000 zusätzliche Jobs. Der Kommissionspräsident erwähnte auch Verhandlungen mit Mexiko und Südamerika sowie das fertig beschlossene EU-Kanada-Freihandelsabkommen (CEFTA). Bis zum Ende des Mandates der EU-Kommission Ende 2019 sollten alle Freihandelsverhandlungen mit Abkommen abgeschlossen werden, sagte er.

Ein "blauäugiger Befürworter" des Freihandels will Juncker nicht sein. Er schlug daher auch ein "Screening" von Investitionen ausländischer Unternehmen in Europa vor. Juncker nannte zwar nicht China namentlich, doch zielt diese Maßnahme darauf, einen Einfluss Chinas auf strategisch wichtige Sektoren zu verhindern. Wenn ein ausländisches Unternehmen, strategische Häfen, Energieinfrastruktur oder Verteidigungstechnologien erwerben wolle, gehe dies nur über eine vertiefte Prüfung, so Juncker.

Dabei sparte Juncker nicht an Kritik an der Automobilindustrie im Zusammenhang mit dem Dieselskandal. "Ich bin stolz auf unsere Automobilindustrie, aber schockiert wenn Kunden und Verbraucher absichtlich getäuscht werden." Der EU-Kommissionschef forderte die Automobilindustrie auf, "sich demütig aufzustellen und den Kurs zu korrigieren". Die Industrie sollte "in saubere Autos von morgen investieren".

(Red./APA)

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