Deutsche Wirtschafts-Optimisten

Expertenrats-Vorsitzender Christoph Schmidt sieht einen großen Spielraum für eine Änderung der Geldpolitik im Euroraum.
Expertenrats-Vorsitzender Christoph Schmidt sieht einen großen Spielraum für eine Änderung der Geldpolitik im Euroraum.(c) Stefan Boness / Visum / pictured (Stefan Boness)
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Konjunktur. Der deutsche Expertenrat fordert angesichts des „lang anhaltenden Aufschwungs“ von der Europäischen Zentralbank endlich eine Zinswende.

Berlin. Die deutschen Wirtschaftsweisen setzen sich an die Spitze der Konjunkturoptimisten. Für das kommende Jahr sagen sie der deutschen Wirtschaft ein Wachstum von 2,2 Prozent voraus. Das geht aus dem am Mittwoch veröffentlichten Jahresgutachten des Sachverständigenrates hervor, das Bundeskanzlerin Angela Merkel übergeben wurde. Die Bundesregierung erwartet lediglich 1,9 Prozent, die führenden Institute zwei Prozent. Für das laufende Jahr hob das Expertengremium seine Prognose von 1,4 auf 2,0 Prozent an. „Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem kräftigen und lang anhaltenden Aufschwung“, heißt es in dem Gutachten mit dem Titel „Für eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik“.

Den Aufschwung sehen die fünf Professoren auf einem immer breiter werdenden Fundament. „Der private Konsum, die Staatsausgaben und die Bauinvestitionen steigen bereits seit längerem robust“, betonen sie. Zusätzlich investieren inzwischen die Unternehmen wieder stärker in Ausrüstungen sowie in Forschung und Entwicklung.Außerdem entwickelten sich wichtige Exportmärkte, insbesondere die Euro-Zone, zuletzt sehr dynamisch.

Mangel an Arbeitskräften

Die Weisen mit dem Ökonomen Christoph Schmidt an der Spitze sehen aber auch Anzeichen für eine Überauslastung. „Anspannungen innerhalb der deutschen Volkswirtschaft äußern sich beispielsweise darin, dass es für die Unternehmen schwieriger wird, offene Stellen zu besetzen“, heißt es in dem Gutachten. „Besonders hoch scheint die Überauslastung der Kapazitäten im Baugewerbe zu sein.“ Durch die extrem lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank werde dieser Trend noch verstärkt. „Anstatt das Wachstum schrittweise zu verlangsamen, wird das Risiko von Fehlallokationen erhöht“, mahnen die Experten.

Sie fordern angesichts des Aufschwungs von der EZB eine geldpolitische Wende. „Risiken für die Finanzstabilität sprechen für eine Normalisierung.“ Sie verweisen dabei auf den deutlichen Anstieg der Wohnimmobilienpreise in Europa und speziell Deutschland, wo die Bundesbank in dieser Hinsicht inzwischen in Städten von einer Überbewertung zwischen 15 und 30 Prozent ausgehe. Angesichts des Aufschwungs in der Euro-Zone sollten die Währungshüter ihre Aufkäufe zügig verringern und früher beenden, so die Ökonomen.

Noch keine Wende

Die EZB hat im Oktober beschlossen, das Volumen ihrer monatlichen Wertpapierkäufe ab Jänner auf 30 Mrd. Euro zu halbieren, die Ankäufe zugleich bis mindestens September 2018 fortzusetzen. Dies ist aus Sicht der Weisen jedoch keine geldpolitische Wende, vielmehr werde die Bilanz weiter aufgebläht. Die Empfehlung an die EZB lautet daher, „dringend“ eine Strategie für die Normalisierung ihrer Geldpolitik zu veröffentlichen: „Dann könnten sich Marktteilnehmer darauf einstellen und Verwerfungen an den Finanzmärkten eher vermieden werden.“ Zugleich würde es den Staaten der Euro-Zone ermöglicht, sich rechtzeitig auf einen Anstieg der Zinsen vorzubereiten.

Der hohe Anteil der von der EZB und den nationalen Notenbanken gehaltenen Staatsanleihen könnte sich laut den Wirtschaftsweisen zudem als Problem für den Eurorettungsschirm ESM erweisen. Denn seit 2013 enthalten Staatsanleihen im Euro-Raum sogenannte Collective Action Clauses (CACs). Diese stellen sicher, dass die Zustimmung einer Mehrheit der Gläubiger ausreicht, um einen alle Geldgeber betreffenden Schuldenschnitt umzusetzen: „Aufgrund der hohen Anleihebestände im Besitz des Euro-Systems würde ein Mehrheitsbeschluss zur Schuldenrestrukturierung im Krisenfall jedoch schwierig“, so die Wirtschaftsweisen. Denn die EZB könne aufgrund des im EU-Vertrag verankerten Verbots monetärer Staatsfinanzierung nicht für eine Restrukturierung stimmen. Dies könnte den Gegnern einer solchen Maßnahme zu einer Sperrminorität verhelfen. (ag)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2017)

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