Mini-Zinsen gefährden Finanzsystem

Immer schneller, immer höher. Die niedrigen Zinsen machen sorglos.
Immer schneller, immer höher. Die niedrigen Zinsen machen sorglos.APA/AFP/GETTY IMAGES/SPENCER PLA
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Sie haben die lockere Geldpolitik zu verantworten. Nun aber warnen die Notenbanken selbst vor ihr. Die Leute seien sorglos, Banken im Fall eines Schocks zu wenig abgesichert.

Wien. Manch Ökonom warnt schon lange davor. Nun werfen auch die Notenbanken das Alarmlicht an. Am deutlichsten die Deutsche Bundesbank, die gestern die Sorglosigkeit angesichts der boomenden Konjunktur geißelte. Es bestehe die Gefahr, dass Risiken für die Finanzstabilität unterschätzt würden, schreibt sie in ihrem „Finanzstabilitätsbericht 2017“, der in Frankfurt vorgestellt wurde. Das Problem: Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), die bei der Straffung der geldpolitischen Zügel säumiger ist als die US-Notenbank Fed.

Zwar wachse die deutsche Wirtschaft bereits das achte Jahr in Folge und Haushalte wie Firmen könnten sich günstig finanzieren, so die Bundesbank: Aber die Bewertungen vieler Kapitalanlagen seien sehr hoch. Auch nehme der Anteil niedrig verzinster Anlagen in den Bilanzen von Banken und Versicherern stetig zu. Sorge bereitet der Bundesbank zudem die sich immer schneller drehende Preisspirale bei Immobilien.

Schutzlos bei jäher Änderung

„Je länger die Boomphasen dauern, desto größer ist die Neigung, diese in die Zukunft fortzuschreiben,“ sagte Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch. Risiken aus Neubewertungen, Zinsänderungen und Kreditausfällen könnten dann gleichzeitig eintreten und sich gegenseitig verstärken. Unerwartete Entwicklungen könnten das Finanzsystem empfindlich treffen. Denn die Risikovorsorge der Banken etwa für mögliche Kreditausfälle sei auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Gerade kleinere und mittlere Banken könnten Probleme bekommen, sollte sich das extrem niedrige Zinsniveau zu rasch ändern.

Die Notenbanken hatten zur Abfederung der Finanzkrise die Zinssätze auf Null abgesenkt und begonnen, massenhaft Staatsanleihen der Krisenländer aufzukaufen. Inzwischen stehen sie vor der Frage, wie sie aus dieser Strategie schmerzfrei für den Markt herauskommen. „Im Grunde ist es wie beim Bergsteigen: Rauf kommt man besser als wieder runter“, formulierte es der Münchner Vermögensverwalter Gottfried Heller dieser Tage in einem Interview.

In den USA haben gestern überraschend gute Wachstumsdaten den Weg für eine dritte Zinserhöhung noch heuer freigegeben. Die EZB hingegen zögert, weil die Inflation noch nicht den angepeilten Wert von zwei Prozent erreicht hat. Ab Anfang 2018 will sie immerhin die umstrittenen Käufe auf 30 Milliarden Euro im Monat halbieren. Das Programm soll noch bis mindestens September 2018 laufen.

Die lockere Geldpolitik hat aus dem traditionellen Sparen einen Mechanismus zur Geldvernichtung gemacht und stattdessen die Börsenkurse sowie die Immobilienpreise in teils schwindelerregende Höhen getrieben.

EZB warnt vor Verlusten

Nicht nur die geldpolitisch konservativeren Deutschen schlug daher gestern Alarm. Auch die EZB selbst, Verursacherin des Faktums, warnte Investoren an den Finanzmärkten vor dem Eingehen übermäßiger Risiken. Es gebe Anzeichen dafür, dass nicht genügend beachtet werde, dass sich die aktuell günstige Stimmung am Markt schnell ändern könne, erklärte sie in ihrem Finanzstabilitätsbericht. Es bestehe zudem die Gefahr, dass eine plötzlich eintretende Neubewertung an den Anleihemärkten für Investoren mit großen Engagements in solche Schuldentitel zu erheblichen Verlusten führen könnten.

Insgesamt freilich hat sich nach Einschätzung der Notenbank die Finanzstabilitätslage im Euro-Raum im vergangenen Halbjahr positiv entwickelt. Die Indikatoren für systemischen Stress seien niedrig geblieben, der starke Anstieg der Preise für Kapitalanlagen in den vergangenen Jahren nicht von einem exzessiven Kreditwachstum begleitet gewesen. Ein Sorgenkind bleibe aber die vergleichsweise niedrige Ertragskraft der Banken und der nach wie vor hohe Bestand an faulen Krediten in ihren Bilanzen. (ag./est)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2017)

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