Der Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen hat am Freitag in Großbritannien und Irland gemischte Reaktionen ausgelöst. Die deutsche Wirtschaft allerdings reagiert erleichtert auf den Fortschritt. EU-Ratspräsident Donald Tusk warnt davor, die zweite Verhandlungsphase zu unterschätzen.
"Die Einigung zwischen der EU und Großbritannien ist ein verspätetes Nikolausgeschenk", sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, am Freitag. "Denn durch den Konsens über die Austrittsbedingungen ist nun der Weg frei für die Themen, die den Unternehmen auf den Nägeln brennen." Nun müssten wichtigen Fragen wie Zölle, Fachkräfteversorgung, Bestandsschutz für laufende Verträge bei Krediten und Versicherungen angegangen werden. "Für die deutsche Wirtschaft steht sehr viel auf dem Spiel", sagte Schweitzer. "Das Vereinigte Königreich ist Deutschlands fünftwichtigster Handelspartner mit einem Warenumschlag von mehr als 120 Milliarden Euro im letzten Jahr."
Ifo-Präsident Clemens Fuest fordert von der EU, ein umfassendes Freihandelsabkommen mit Großbritannien anzustreben, damit die volkswirtschaftlichen Kosten des Austritts für alle Seiten begrenzt bleiben. "Der Brexit wird durch wachsende Handelskosten erheblichen wirtschaftlichen Schaden anrichten", betonte der Ökonom. "Bei Freihandel könnten die zusätzlichen Kosten mehr als halbiert werden." Dann würden die Gesamtverluste für die EU auf 27 Milliarden Euro sinken. Für Großbritannien würde ein Wegfall des Nettobeitrags zum EU-Haushalt die wachsenden Handelskosten ungefähr ausgleichen. "Tatsächlich würde Großbritannien sich aber auch künftig finanziell an bestimmten EU-Programmen beteiligen, so dass der Nettobeitrag nicht auf Null sinkt.
Tusk: Schwierigste steht noch bevor
EU-Ratspräsident Donald Tusk hat die britische Regierung davor gewarnt, die zweite Phase der Brexit-Verhandlungen zu unterschätzen. Auch wenn er zufrieden mit der Einigung zum ersten Verhandlungsabschnitt sei, stehe "die schwierigste Herausforderung noch bevor", sagte Tusk am Freitag.
Die EU brauche nun "mehr Klarheit" bezüglich der britischen Vorstellungen über die künftigen Beziehungen und stelle Bedingungen für eine von London gewünschte Übergangsphase nach dem Brexit.
Die EU-Kommission hatte den Mitgliedstaaten Freitag früh empfohlen, in Phase zwei der Brexit-Verhandlungen zu gehen. Demnach gibt es "ausreichende Fortschritte" bei den drei zentralen Austrittsfragen zu den künftigen Rechten der EU-Bürger in Großbritannien, den Finanzforderungen an London und der Grenze zwischen Irland und Nordirland.
Tusk verschickte nun nach eigenen Angaben bereits einen Entwurf für "Leitlinien" für die zweite Verhandlungsphase an die europäischen Staats- und Regierungschefs. Sie sollten beim EU-Gipfel am kommenden Freitag beschlossen werden.
Zu der von Premierministerin Theresa May vorgeschlagenen Übergangsphase nach dem Brexit im März 2019 sagte Tusk, die EU stelle dafür "natürlich Bedingungen". Denn in dieser Zeit wolle Großbritannien trotz des EU-Austritts vorerst im Binnenmarkt und in der Zollunion bleiben.
"Während dieser Zeit wird das Vereinigte Königreich das gesamte EU-Recht einschließlich neuer Gesetzgebung respektieren", forderte Tusk. "Es wird Haushaltsverpflichtungen respektieren, es wird juristische Aufsicht respektieren und natürlich alle damit zusammenhängenden Verpflichtungen." Es sei auch klar, dass in der Übergangsphase "die EU-Entscheidungsfindung unter den 27 Mitgliedstaaten ohne das Vereinigte Königreich weitergeht", sagte der Ratspräsident.
Für die Zeit nach dem Verlassen des Binnenmarktes brauche die EU jetzt klare Vorstellungen aus Großbritannien, sagte Tusk weiter. Dazu würden nun "Sondierungsgespräche mit unseren britischen Freunden" geführt. Die EU sei bereit, "eine enge Handelspartnerschaft" mit Großbritannien einzugehen, aber auch im Kampf gegen den Terrorismus und internationales Verbrechen sowie in Fragen von Sicherheit, Verteidigung und Außenpolitik künftig mit London zusammenzuarbeiten.
Um all dies zu vereinbaren, bleibe nun "weniger als ein Jahr", stellte Tusk fest. "Wir alle wissen, dass eine Trennung schwer ist, aber sich zu trennen und eine neue Beziehung aufzubauen ist sehr viel schwerer." Und die erste Phase der Brexit-Verhandlungen sei im Vergleich zu den nun bevorstehenden Aufgaben "der einfachere Teil" gewesen.
Gemische Reaktionen in England und Irland
Der Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen hat am Freitag in Großbritannien und Irland gemischte Reaktionen ausgelöst. Die Boulevardzeitung "The Sun" titelte in ihrer Onlineausgabe: "Hard won" (etwa: "Schwer erkämpfter Sieg").
Umstritten war bis zuletzt vor allem die Frage, wie Grenzkontrollen an der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden können. Die Chefin der nordirischen DUP (Democratic Unionist Party), Arlene Foster, sagte, die britische Premierministerin Theresa May habe ihr eine klare Bestätigung gegeben, dass ganz Großbritannien die EU, den europäischen Binnenmarkt und die Zollunion verlassen werde.
Es habe seit Anfang der Woche einen "substanziellen Fortschritt" bei dem Text gegeben. Trotzdem gebe es noch Angelegenheiten, die sie gerne geklärt hätte. "Uns ist die Zeit ausgegangen", sagte Foster dem Nachrichtensender Sky News.
Der irische Außenminister Simon Coveney twitterte: "Sehr gutes Ergebnis für alle auf der irischen Insel - garantiert keine befestigte Grenze!"
Weniger zufrieden zeigte sich der Brexit-Vorkämpfer und ehemalige Chef von UKIP (UK Independence Party), Nigel Farage. "Ein Abkommen mit Brüssel ist eine gute Neuigkeit für Frau May, da wir jetzt in die nächste Phase der Erniedrigung eintreten können", twitterte Farage.
(APA/dpa/Reuters)