Altenpflege: „Viele pflegen sich krank“

WU-Professorin Ulrike Schneider, „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak und Premi- QaMed-Geschäftsführer Julian Hadschieff diskutierten an der WU über die ökonomischen Aspekte der Langzeitpflege.
WU-Professorin Ulrike Schneider, „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak und Premi- QaMed-Geschäftsführer Julian Hadschieff diskutierten an der WU über die ökonomischen Aspekte der Langzeitpflege.(c) Stanislav Jenis
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Beim Thema „Pflege“ kreist die Diskussion in der Regel um die Kosten für die öffentliche Hand und um ausländische Pflegerinnen. Das Thema ist viel komplexer.

Wien. Viel krasser können Gegensätze kaum sein als Dienstagabend an der Wirtschaftsuniversität Wien. Während im Foyer „Die Presse“-Währungsexperte Nikolaus Jilch eine Veranstaltung zum Thema „Blockchain“ moderierte, diskutierte im Festsaal nebenan „Die Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak mit PremiQaMed-Chef Julian Hadschieff und der Leiterin des Forschungsinstituts Altersökonomie an der WU, Ulrike Schneider, das Thema „Pflege“. Blockchain und Alterung. Beide Themen werden diese Gesellschaft massiv prägen – und wohl auch verändern. Und am Ende des Abends waren die Gegensätze gar nicht mehr so krass, wie sie eingangs schienen.

Wenn wir uns Gedanken über die steigende Lebenserwartung und die damit verbundenen Kosten machen, müssen wir „bei den Kindern“ beginnen, mahnt Hadschieff. Seine Gruppe leitet mehrere Privatkliniken, aber auch öffentliche Betreuungseinrichtungen. Kinder müssen neben „Lesen, Rechnen und Schreiben auch soziale und Gesundheitskompetenz“ lernen, sagt der Manager. Denn es gehe nicht darum, dass wir länger leben, sondern, dass wir länger gesund leben. Und bei Letzterem ist Österreich im internationalen Vergleich schlecht. Im Schnitt verbringt der Österreicher seine letzten 20Lebensjahre als kranker Mensch. Und das hänge sehr stark mit falscher Ernährung und zu geringer Bewegung zusammen. Österreich liege beim Rauchen und Trinken im Spitzenfeld, gleichzeitig seien Alkohol und Zigaretten in kaum einem EU-Land so billig wie bei uns.

Für Ulrike Schneider gleicht die Debatte um die Pflege einem Eisberg. Nur ein kleiner Teil sei sichtbar und dieser werde wahrgenommen. Die steigenden Kosten etwa, die bei knapp zwei Prozent des BIPs liegen. Laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts werden die Kosten für die Pflege von derzeit zwei Milliarden auf neun Milliarden Euro im Jahr 2050 steigen. Doch damit werde nur ein Drittel der wahren Kosten abgebildet, sagt Schneider. Unter der Wasseroberfläche des Pflege-Eisbergs verbergen sich viele andere.

Menschen, die Angehörige pflegen, verdienen weniger, machen seltener eine berufliche Karriere und werden mitunter selbst krank. „Manche pflegen sich krank“, sagt Schneider. Diese Kosten werden nirgendwo ausgewiesen. Auch nicht das seelische Leid, das mit der Pflege einhergehe. Oft scheitern Beziehungen, verlieren Pflegende soziale Kontakte. Schneider wünscht dem Staat ein „Sonar“, damit er auch die Probleme unter Wasser erkennen kann. Einen Vergleich mit der Titanic lehnt sie aber ab. In Österreich werde auch vieles richtig gemacht.

Falsch laufe allerdings der öffentliche Diskurs. In den Medien werde die Alterung fast ausschließlich als Problem im Krisenmodus geschildert – und das färbe auf die politische Debatte ab. Dass die Menschen länger und länger eigenständig leben, sei doch schließlich eine äußerst positive Geschichte.

Ob man das am Ende auch von der Blockchain wird behaupten können?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2017)

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