Was aus der guten Arbeit wurde

Da kann der Kellner noch so eifrig putzen: Seine Leistung ist in einer immer produktiveren Volkswirtschaft chronisch überteuert.
Da kann der Kellner noch so eifrig putzen: Seine Leistung ist in einer immer produktiveren Volkswirtschaft chronisch überteuert.REUTERS
  • Drucken

Früher galt die Dienstleistungsgesellschaft als rosige Zukunftsvision. Heute bilden Pfleger, Kellner und Boten ein neues Proletariat. Wie kam es dazu? Und lässt es sich ändern?

In der Nachkriegszeit konnte man sich auf die Zukunft freuen. Noch schufteten viele in Fabriken, noch verband man Begriffe wie „Arbeitsleid“ und „Entfremdung“ mit traurigen Menschen am Fließband, die für wenig Lohn ihrer monotonen Tätigkeit nachgingen. Aber am Horizont stand schon die Dienstleistungsgesellschaft. „Die große Hoffnung des 20. Jahrhunderts“ nannte sie der französische Ökonom Jean Fourastié. Er verhieß humanere Arbeit, sichere Jobs, höhere Bildung und bessere Löhne – und die westliche Welt folgte diesem Glauben. Was daran stimmte: Auf dem Acker rackern nur mehr sehr wenige, in den Fabriken auch nicht mehr so viele. Bei sieben von zehn Jobs geht es um irgendeine Form von Dienstleistung. Aber wer heute in der Industrie arbeitet, darf sich glücklich schätzen. Das neue Proletariat ist eine Reservearmee von Pflegerinnen, Kellnern, H&M-Verkäuferinnen und Pizzaboten – lauter Servicetätigkeiten. Wie kam es dazu?

In manchem lag schon Fourastié daneben. Er unterschätzte, welch wichtige Rolle die Industrie auch in hoch entwickelten Volkswirtschaften spielen kann – wenn sie etwa, wie in Deutschland und Österreich, die Schwellenländer mit präzisen Maschinen und die ganze Welt mit technologisch hochgerüsteten Autos versorgen. Das erfordert qualifizierte, gut bezahlte Ingenieure und Facharbeiter. Umgekehrt übertrieb der Forscher mit dem Bildungsanspruch an den tertiären Sektor: Straßenkehrer brauchen auch heute keinen Uni-Abschluss und bleiben arme Schlucker. Aber das Problem mit der Dienstleistung liegt tiefer. Wäre Fourastié öfter ins Konzert gegangen, dann wäre er vielleicht auf das Rätsel gestoßen, das William Baumol beschäftigte. Das berühmte Beispiel des heuer verstorbenen US-Ökonomen: An den Musikern eines Streichquartetts müsste jeder Unternehmensberater verzweifeln. Ihre Produktivität lässt sich nicht steigern. Spart man einen von ihnen ein, sind sie kein Quartett mehr, und spielen sie ihren Beethoven schneller herunter, beeinträchtigt das den Hörgenuss. Nun gilt nach der klassischen Theorie: Nur wenn eine Arbeitskraft pro Zeiteinheit mehr leistet, ist ihre Leistung auch mehr wert. Produktivität ist die einzige Quelle höherer Löhne. Dennoch verdienen Musiker weit mehr als vor hundert Jahren. Ihre Löhne stiegen ähnlich stark wie in produktiven Sektoren. Warum? Würde ihr Entgelt auf Dauer stagnieren, hätten sie schon längst den Beruf gewechselt.

Banker als Parasiten. Diese „Baumol'sche Krankheit“ bereitet Unbehagen: Offenbar verdienen Menschen in Dienstleistungsjobs mehr, als sie sich verdienen. Ihre Leistungen sind immer stärker überteuert. Oft ist das kein Problem. Banker, Werber, Anwälte und Steuerberater stehen mit den Quellen wachsenden Reichtums in symbiotischer Beziehung (böse Zungen meinen: in parasitärer). Wachsen Kapital, Etat und Streitwert, darf mit der Verantwortung auch der Preis der Leistung steigen. Zudem machen sich immer mehr Dienstleister mit Daten und ihrer Verarbeitung nützlich. Das ist auf eigene Weise produktiv, weshalb hier manche vom vierten Sektor sprechen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.