Starker Rückenwind, schwach genutzt

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Prognose Wifo/IHS. Österreichs Wirtschaft wächst dank der Konjunktur weiter kräftig. Aber auch Defizit und hohe Arbeitslosigkeit bleiben. Das Regierungsprogramm erntet leise Skepsis.

Wien. Über zu wenig wirtschaftlichen Rückenwind kann sich die neue Regierung nicht beklagen. Schwarz-Blau startet mit einer „ungewöhnlich guten Konjunkturdividende“, wie IHS-Chef Martin Kocher bei der Präsentation der Prognosen von IHS und Wifo verkündete. Um drei Prozent wächst die Wirtschaftsleistung heuer, so stark wie seit 2007 nicht mehr. Kaum weniger wird es 2018, erst 2019 flacht die Kurve deutlich ab.

Die Dynamik ist damit sogar stärker als in Deutschland. Es ist der Welthandel, der die Segel der kleinen, offenen Volkswirtschaft bläht, vor allem auch die gute Entwicklung in Osteuropa. Freilich: Ein zusätzliches Potenzial, das Firmen anzieht und zu Investitionen animiert, hat die Politik nicht geschaffen. Damit ist Österreich vom Zyklus abhängig, in dem es bald zu einem „ganz normalen Abflauen“ kommt. Es beginnt mit den Investitionen, die erfahrungsgemäß nicht drei Jahre in Folge stark zunehmen. Sodann dürfte sich die globale Konjunktur abschwächen, was den Exportboom einbremst.

Am längsten treibt der private Konsum an: 2016 wegen der Steuerreform, heuer wegen der guten Stimmung (trotz leichter Reallohnverluste), im kommenden Jahr durch steigende Reallöhne.

Überzogen waren die Abschlüsse im Herbst aber nicht. Denn auch die Produktivität hat zugenommen. Unternehmen und Arbeitnehmer haben sich die Beute also sauber aufgeteilt, wie es die alte „Benya-Formel“ vorsieht. Damit ist der Inflationsdruck von der Lohnseite gering. Die Teuerung pendelt weiter um die zwei Prozent, liegt damit aber konstant um einen halben Punkt höher als im Euroraum und in Deutschland.

Zu viele Langzeitarbeitslose

Dass die Gewerkschaften in den Verhandlungen nicht noch stärker auf den Putz hauen konnten, hat einen Grund: Die Arbeitslosigkeit geht zwar leicht zurück, bleibt aber auf einem historisch hohen Niveau. Das liegt nicht nur daran, dass immer mehr Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen. Die vielen offenen Stellen zeigen, dass oft die richtige Qualifikation fehlt.

Vor allem aber werden die Langzeitarbeitslosen nicht weniger. Sie bilden mittlerweile, mit fast 40 Prozent Anteil, einen „enorm großen“ Sockel, der „immer mehr zum Problem wird“, klagt Wifo-Chef Christoph Badelt. Die Aktion 20.000 für ältere Arbeitslose helfe da langfristig wenig, fürchtet IHS-Experte Helmut Hofer: „Die internationale Erfahrung zeigt, dass Menschen mit öffentlich geschaffenen Jobs nicht langfristig auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen.“ Die neue Regierung könne die Aktion daher ruhig verkleinern, mehr als rund 5000 Stellen erwarten die Prognostiker ohnehin nicht. Der Beschäftigungsbonus sollte aus Sicht beider Institute auslaufen, weil er mitten im Boom zu hohen Mitnahmeeffekten führt: Firmen kassieren für Arbeitsplätze, die sie ohnehin geschaffen hätten.

So viel zu alten Prestigeprojekten der SPÖ. Wie aber steht es um die Hartz-IV-artigen Pläne der neuen Regierung? Sie will durch die De-facto-Abschaffung der Notstandshilfe und Verschärfungen beim Arbeitslosengeld mehr Druck auf Betroffene ausüben, damit sie sich auch wirklich um einen Job bemühen. Für Kocher funktioniert der Druck nur dann, wenn man ihn mit mehr Unterstützung bei der Suche kombiniert („Fordern und fördern“, hieß das früher in Deutschland). Sonst bleibe es bei einer geschönten Statistik – weil sich viele gar nicht mehr als arbeitslos melden. Badelt sieht es grundsätzlich problematisch, Arbeitslose „früher in die Mindestsicherung zu schieben“. Das belaste die Länder, führe wegen der nötigen Einzelfallprüfung zu mehr Bürokratie und spieße sich mit dem Ziel, Altersarmut zu bekämpfen. Besser gefällt dem Wifo-Chef der Plan, Arbeitslose nicht nur in (oft fruchtlose) AMS-Kurse zu stecken, sondern in Kooperation mit Unternehmen auf konkrete Arbeitsplätze hin zu schulen.

Kosten klar, Einsparung vage

Das Regierungsprogramm im Ganzen bewerten will noch keiner der beiden Institutschefs, weil die Maßnahmen nicht quantifiziert sind. Viel klarer werde man sehen, wenn das Doppelbudget vorliegt. Aber Badelt meldet seine Skepsis schon an: Das Programm enthalte recht konkret Steuersenkungen und Zusatzausgaben, wobei manche – wie der Kinderbonus – schon bald schlagend werden. Die Einsparungen aber blieben vage und wirkten alle erst auf längere Sicht.

Doch schon aus den „Geschenken“, die der alte Nationalrat im Oktober beschlossen hat, ergibt sich: Das Budgetdefizit bleibt uns erhalten – mitten in einer Hochkonjunktur, für die jedes Lehrbuch dringend rät, für künftig schlechtere Zeiten vorzusorgen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2017)

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