"Deutschlands goldenes Jahrzehnt wird in den 2020ern enden"

Blick ueber das Werk von Opel in Ruesselsheim am Main 20 07 2016 Ruesselsheim Deutschland PUBLICATI
Blick ueber das Werk von Opel in Ruesselsheim am Main 20 07 2016 Ruesselsheim Deutschland PUBLICATIimago/photothek
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Die gute Konjunktur verdecke den Blick auf die verdeckten strukturellen Probleme in der deutschen Wirtschaft, sagen Ökonomen. Und die öffentliche Verwaltung sei zu behäbig.

Auf den ersten Blick sieht die deutsche Wirtschaftslage rosig aus. Daten vom Arbeitsmarkt, Einkaufsmanagerindizes und eine lockere Geldpolitik der EZB schaffen die Voraussetzungen für anhaltende Zuversicht. Aber es gibt Risiken, die der Feststimmung, wie ifo-Chef Clemens Fuest im Dezember die Lage umschrieb, ein jähes Ende bereiten könnten.

Noch sei die abnehmende Wettbewerbsfähigkeit für Investoren kein Thema, sagt Maximilian Kunkel, Chef-Anlagestratege Wealth Management UBS Deutschland und verweist auf den derzeitigen global synchronisierten konjunkturellen Aufschwung. Aber der Aufschwung sei zyklisch und nicht strukturell. Strukturelle Reformen in Deutschland seien unbedingt notwendig, sowie Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Forschung. Deutschland ist in puncto Standortqualität international bereits zurückgefallen, zeigt der "Doing-Business-Bericht" der Weltbank vom vergangenen Herbst.

"Erfolg macht behäbig"

"Deutschlands aktuelles goldenes Jahrzehnt wird in den 2020er Jahren enden" sagt Holger Schmieding, Chef-Volkswirt bei Joh. Berenberg Gossler & Co. KG. Das Kompromisspapier der Sondierungsgespräche zwischen SPD und CDU setze den Trend weg von "Pro-Wachstum-Reformen" fort. "Erfolg macht behäbig", sagt Schmieding. Deutschland werde fundamental stark bleiben, jedoch beim Wachstum von der Spitzenposition ins obere Mittelfeld der wichtigsten europäischen Staaten abrutschen.

Ähnlich äußern sich Volkswirte der Commerzbank in einer im Januar vorgelegen Analyse. Die gute Konjunktur verdecke den Blick auf die verdeckten strukturellen Probleme in der deutschen Wirtschaft und Deutschland könnte in die Bredouille geraten, wenn sich die Wirtschaft nach dem nächsten Abschwung nur langsam und mit großer Mühe herausarbeiten kann, schreiben Jörg Krämer und Marco Wagner, Ökonomen der Commerzbank AG.

Fachkräftemangel hält an

Eine behäbige öffentliche Verwaltung sorge für zu lange Gerichtsverfahren, die Bearbeitung von Steuerunterlagen nähme für Unternehmen immer mehr Zeit in Anspruch und gleichzeitig würden die Mitbewerber, insbesondere osteuropäische Staaten, aufholen und hätten "konsequent das Credo verfolgt, den Staat zu verschlanken und effizienter zu gestalten", sagen die beiden Commerzbank Ökonomen.

Strukturelle Hemmnisse beschäftigen den deutschen Mittelstand. 80 Prozent der Befragten in einer vom Deutschen Sparkassen und Giroverband im Dezember veröffentlichten Studie sehen den Fachkräftemangel als drängendste Herausforderung für die Zukunft an und gleichzeitig als größtes Hemmnis einer stärkeren Investitionsbereitschaft. Die Unternehmen litten nicht unter der Höhe der Steuern, sondern vielmehr unter deren Komplexität. 57,2 Prozent der Gespräche zwischen Firmenkundenberatern der Sparkassen und deren Kunden betreffen die Komplexität der Besteuerung, heißt es in der Studie weiter.

Der Motorsägenhersteller Andreas Stihl AG & Co. KG spürt den Mangel an Fachkräften besonders in den Bereichen Digitalisierung und Akku-Technologie. "Derzeit haben wir rund 150 offene Stellen in diesen Bereichen", sagt Stefan Caspari, Leiter Unternehmenskommunikation, gegenüber Bloomberg. Laut Commerzbank wird sich der Fachkräftemangel in den nächsten Jahren weiter verschärfen, denn Deutschland verzeichnet in der EU den stärksten Rückgang an Personen im erwerbstätigen Alter - durchschnittlich 0,5 Prozent bis 2025 und sogar 0,7 Prozent bis 2030.

Lohnerhöhungen lassen Vorsprung einbüßen

In Sachen Lohnstückkosten hat Deutschland in den vergangen fünf Jahren seinen Vorsprung bereits zur Hälfte eingebüßt. Waren diese bis 2005 weitgehend stabil ist seither ein kontinuierlicher Anstieg zu beobachten. Sechs Prozent mehr Lohn für die 3,5 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie, wie sie in der aktuellen Tarifrunde von der IG Metall gefordert werden, könnten diesen Vorsprung weiter abschmelzen lassen.

Die EBM-Pabst Gruppe, die erst Ende des Jahres Investitionen von 41 Millionen Euro in ein neues Entwicklungszentrum in Baden-Württemberg bekannt gab, sieht die Forderung kritisch. Aus unternehmerischer Sicht "würde das einen weiteren Nachteil für den Wirtschaftsstandort Deutschland bedeuten und wir müssten genauer überdenken, wo wir investieren", sagt Stefan Brandel CEO des Unternehmens für den Fall, dass die Gewerkschaften in den Verhandlungen die Oberhand behalten.

Noch besteht die Gefahr nicht unmittelbar. Die niedrige Arbeitslosigkeit und eine relativ niedrige Staatsverschuldung ermöglichen Deutschland einen gewissen Spielraum. "Deutschland verfügt über ausreichend Feuerkraft, um Maßnahmen zu ergreifen, die den nächsten Abschwung abfedern können", sagt Stefan Neuwirth, Konjunkturexperte an der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich.

(Bloomberg)

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