EuGH-Urteil: Grundsatz des Verbots der Doppelbestrafung gilt nicht ausnahmslos

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EuGH (c) REUTERS (Francois Lenoir)
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Niemand darf wegen derselben Straftat mehrfach bestraft werden, diesen Rechtsgrundsatz sieht sowohl die Europäische Menschenrechtskonvention als auch die Charta der Grundrechte der EU vor. Der EuGH relativiert dieses Prinzip nun.

"Ne bis in idem" - "Niemand darf wegen derselben Straftat zweimal strafrechtlich verfolgt oder bestraft werden", dieser zentrale Rechtsgrundsatz findet sich nicht nur in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), sondern auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Artikel 50 der GRC).

Nun aber hat der Europäische Gerichtshof in einem aktuellen Urteil (C-524/15; C-537/16; C-596/16; C-597/16) festgehalten, dass es zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union und ihrer Finanzmärkte Einschränkungen dieses Doppelbestrafungsverbot geben kann.

Ausgangspunkt der bemerkenswerten Entscheidung waren vier Fälle aus Italien, in denen der EuGH zu prüfen hatte, ob gegen ein und diesselbe Person gleichzeitig strafrechtliche und verwaltungsrechtliche Sanktionen wegen derselben Tat verhängt werden dürfen. "Ja" befanden die Luxemburger Richter, allerdings nur dann, wenn die nationale Regelung, welche die "ne bis in idem"-Ausnahme vorsieht, vier Voraussetzungen erfüllt:

  1. Sie muss eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung haben, die eine solche Kumulierung der Strafen rechtfertigen kann.

  2. Die nationale Regelung muss klare und präzise Regeln aufstellen, die es den Bürgern ermöglicht, vorherzusehen, bei welchen Handlungen und Unterlassungen eine doppelte Bestrafung in Frage kommt.

  3. In so einem Gesetz muss sichergestellt sein, dass die Verfahren untereinander koordiniert werden. Schließlich sollen die Belastungen, die mit einer Doppelbestrafung verbunden sind, für den Betroffenen auf ein Mindestmaß beschränkt werden. 

  4. Schließlich muss eine solche Regelung gewährleisten, dass die verhängten Sanktionen im Verhältnis zur Schwere der betreffenden Straftat auf das zwingend Erforderliche beschränkt werden.

Der EuGH sah diese genannten Voraussetzungen nicht in allen der vier vorgelegten Rechtssachen als erfüllt an. So hielt er fest, dass bei einer Regelung zur Verfolgung der Marktmanipulation der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerade nicht gewahrt worden sei. Diese italienische Regelung sieht nämlich vor, dass es zulässig ist, ein Verwaltungsstrafverfahren durchzuführen, selbst wenn die Sache bereits Gegenstand einer strafrechtlichen Verurteilung gewesen ist. Das sei unzulässig, so die EuGH-Richter: Hier ist "die strafrechtliche Sanktion selbst schon geeignet, die Straftat wirksam, verhältnismäßig und abschreckend zu ahnden". Zudem scheint die Regelung keine Gewähr dafür zu bieten, dass die Schwere aller verhängten Sanktionen auf das beschränkt bleibt, was aufgrund der Schwere der betreffenden Straftat zwingend erforderlich ist, so der EuGH.

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