Aussage von Konzernchef Diess soll zu US-Haftbefehl gegen Winterkorn geführt haben.
Wien. Herbert Diess und Martin Winterkorn, diese beiden Männer wird man so schnell nicht mehr auf einem Bild zusammen sehen. Wie gestern, Dienstag, bekannt wurde, soll Diess, der seit Kurzem Konzernchef von Volkswagen ist, Anfang Mai in die USA gereist sein, um vor Vertretern des US-Justizministeriums und des FBI eine Aussage zum Dieselskandal zu machen. An diesen Treffen soll auch Larry Thompson teilgenommen haben. Ihn hat die US-Justiz als Beobachter bei VW eingesetzt.
Diese Gelegenheit dürfte Diess genützt haben, um seinen Vorvorgänger an der VW-Spitze zu belasten. Kurz nach der Zusammenkunft, am 4. Mai, gab die US-Staatsanwaltschaft offiziell bekannt, dass sie gegen Winterkorn und fünf andere Manager bereits Anklage erhoben habe.
Die Staatsanwälte legen ihm gleich mehrere Delikte zur Last: Winterkorn habe die US-Behörden wissentlich in die Irre geführt, indem er vorgab, US-Abgabevorschriften erfüllen zu können. Er habe Dieselautos an US-Verbraucher verkauft, wissend, dass die Fahrzeuge nicht dem Gesetz entsprechen. Und er habe auch die Verbraucher in die Irre geführt, nachdem er die VW-Fahrzeuge als umweltfreundliche und „saubere“ Diesel verkauft habe.
Nur in Deutschland sicher
Einen Tag nach Bekanntwerden der Anklage erließ die US-Behörde einen Haftbefehl gegen Winterkorn. Damit kann er de facto sein Heimatland nicht mehr verlassen. Das US-Justizministerium verlautbarte, aus seiner Sicht befinde sich Winterkorn derzeit auf der Flucht. In allen Staaten, die mit den USA ein Auslieferungsabkommen haben, wäre der bald 71-Jährige vor dem Zugriff der Behörden nicht sicher. Käme es zu einem Verfahren vor einem US-Gericht, müsste er mit einer Haftstrafe von bis zu 25 Jahren rechnen. Winterkorn ließ derweil über einen Kontaktmann ausrichten, er werde zu passender Gelegenheit bereit sein, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Wann, sei noch nicht absehbar.
Diess ist wertvoller Zeuge
Doch zurück zu Diess: Welche belastenden Informationen hat er den US-Ermittlern preisgegeben? Laut deutschen Medienberichten hat der Österreicher ihnen geschildert, was seiner Wahrnehmung nach am 27. Juli 2015 passiert ist. An diesem Tag sollen Winterkorn und andere Manager des Konzerns erstmals im Detail über den Abgasbetrug informiert worden sein. Aus Sicht der Ermittler ein Schlüsselmoment. Damals habe Winterkorn nämlich „die fortgesetzte Verheimlichung der Betrugssoftware vor den US-Aufsichtsbehörden genehmigt“, heißt es in der Anklageschrift. Das Interessante dabei: Auch Diess hat an dieser prekären Besprechung teilgenommen. Allerdings hatte er damals noch keine offizielle Funktion bei VW. Erst im Oktober 2015 wechselte Diess vom deutschen Autohersteller BMW zum Konkurrenten VW.
Als Zeuge ist er für die Ermittler freilich sehr wertvoll. Das erklärt wohl, weshalb die sonst nicht als großzügig bekannten amerikanischen Behörden dem VW-Konzernchef freies Geleit zugesagt haben.
Er kann – so wie es seine Funktion von ihm verlangt – quer über den Erdball fliegen, ohne irgendwo mit einer Verhaftung wegen der Abgasaffäre rechnen zu müssen. Und: Laut Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg wurde Diess auch zugesagt, sofort informiert zu werden, sollte die USA planen, Anklage gegen ihn zu erheben. Weder der Volkswagen-Konzern noch Diess selbst waren am Dienstag bereit, etwas zu dessen Aussage vor dem FBI zu sagen. Zu heikel ist die Angelegenheit für den Konzernchef.
In Deutschland ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig nämlich seit gut einem Jahr nicht nur gegen den ehemaligen Konzernchef Winterkorn, sondern genauso gegen Herbert Diess und den früheren Finanzvorstand und jetzigen Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2018)