Wer arme Eltern hat, kommt nicht nach oben. Oder doch?

Studieren, um den Aufstieg zu schaffen: Die OECD sieht noch hohe Hürden.
Studieren, um den Aufstieg zu schaffen: Die OECD sieht noch hohe Hürden. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die OECD sieht die Chancen in Österreich ungleich verteilt. Zu Recht?

Wien. Der große Gatsby hat ganz klein angefangen. Der Held aus Fitzgeralds gleichnamigen Roman war ein Bauernsohn und brachte es doch zu sagenhaftem Reichtum. Auch wenn das im echten Leben selten vorkommt: „Soziale Mobilität“ ist sehr wichtig, darin sind sich die Ökonomen ausnahmsweise einig. Denn nur, wenn Kinder armer Eltern die Chance auf Aufstieg haben, ist eine Gesellschaft gerecht und bleibt ihr Zusammenhalt gewahrt. Wie steht es darum in Österreich? Eher schlecht, sagt die OECD in einer aktuellen Studie. Nicht zum ersten Mal. Aber neu ist der Bezug zur „Gatsby-Kurve“.

Sie zeigt anhand Daten vieler Länder eine Korrelation zwischen sozialer Mobilität (von einer Generation zur nächsten) und dem Ausmaß der Einkommensungleichheit. Das typische Muster: In egalitären Staaten wie den skandinavischen ist auch die soziale Mobilität hoch. Umgekehrt ist es in Lateinamerika oder Südafrika: hohe Ungleichheit, geringe soziale Mobilität. Aber Österreich tanzt hier, zusammen mit Deutschland, aus der Reihe: Die Einkommen sind zwar ziemlich gleichmäßig verteilt. Aber um die Chancengleichheit für Kinder aus einfachen Verhältnis ist es nach den OECD-Daten trotzdem weniger gut bestellt als in vielen anderen Ländern Europas.

Warum? Eine mögliche Erklärung: Als Maß für die Ungleichheit wird hier, wie üblich, der Gini-Koeffizient für die tatsächlich verfügbaren Einkommen verwendet, also nach Steuern und Sozialtransfers. Vor der staatlichen Umverteilung, auf Basis der am Markt erzielten Einkommen, ist die Ungleichheit in Österreich ausgesprochen hoch. Der Staat greift also stark korrigierend ein. Und womöglich merzt er damit den Fehler aus, dass er nicht schon vorher für mehr Chancengleichheit gesorgt hat, vor allem im Bildungssystem – eine sehr teure Korrektur, die zudem die wirtschaftliche Dynamik bremst.

Unschärfen bei den Daten

Aber ist die soziale Mobilität zwischen den Generationen tatsächlich so niedrig? Im Prinzip haben ja alle den gleichen Zugang zum öffentlichen Bildungssystem, vom Sohn des Hilfsarbeiters bis zur Tochter des Generaldirektors. Jeder kennt die Biografien von Promis oder Bekannten, die es aus einfachen Verhältnissen „nach oben geschafft“ haben. Gelingt ein solcher Aufstieg anderswo öfter?

Bei Ländervergleichen anhand von Kennzahlen besteht immer die Gefahr, dass man Äpfel mit Birnen vergleicht. So auch bei den OECD-Daten zur Bildungsmobilität, befand der Thinktank Agenda Austria schon vor zwei Jahren. Damit die Daten international vergleichbar sind, rechnet die OECD überall mit nur drei Bildungsstufen. In Österreich gibt es davon aber fünf. „Wenn etwa die Tochter eines Tischlermeisters die Handelsakademie macht, gilt das für die OECD fälschlicherweise nicht als Bildungsaufstieg“, erklärt Agenda-Bildungsökonom Fabian Stephany. Auch Lehrberufe fallen „unter den Radar“. Dabei könne man hierzulande (wie auch in Deutschland) als Facharbeiter in erfolgreichen Industriebranchen sehr gut verdienen. Deshalb sei es auch weniger problematisch, wenn Kinder den gleichen Beruf ergreifen wie die Eltern. Schließlich ergebe sich eine Unschärfe daraus, dass „Österreich schon lange Wert auf Akademisierung gelegt hat“. Damit bleibt „weniger Luft nach oben“ als etwa in Italien, wo diese Entwicklung viel später eingesetzt hat (der Extremfall wäre ein Land, in dem alle einen Uniabschluss haben – man könnte es für sehr fortschrittlich halten, obwohl die soziale Mobilität gleich null wäre). Spielraum für Verbesserungen sieht aber auch Stephany genug: „Wir sollten das Potenzial für die Lehrberufe ausbauen, sie für die Digitalisierung zukunftsfit machen und stärker mit der Matura kombinieren“. Große Konzerne wie Siemens hätten nicht auf die Politik gewartet: Sie legen dafür „schon seit zehn Jahren hausinterne Ausbildungsprogramme“ auf.

Mehr Kinderbetreuung

In andere Richtungen weisen die Ideen der OECD-Forscher. Sie empfehlen für Deutschland, das ähnliche Voraussetzungen hat: mehr Investitionen in frühkindliche Bildung, ganztägige Kinderbetreuung, Nachmittagsunterricht und Gesamtschule bis 14 Jahre. Für Deutschland fordern sie zudem eine höhere Erbschaftssteuer – was auf Österreich umgelegt heißt, diese wieder einzuführen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2018)

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