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Spaniens Bahnhof für Nichts und Niemanden

Die Gegend ist so richtig einsam.
Die Gegend ist so richtig einsam.(c) REUTERS (Regis Duvignau)
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Der Bürgermeister eines Dorfes setzte eine Superschnellzugstation durch, in der nie ein Zug halten wird.

Die Gegend ist so richtig einsam. Eine alte Windmühle steht dort, aber sie klappert schon lange nicht mehr. Die nächsten paar Häuser, zu einem Gutteil unbewohnt, liegen einen Kilometer entfernt. Noch weiter weg dann ein stilles Dorf mit kaum 1500 Seelen: O Páramo in Galicien, dem Nordwesten Spaniens. Aber mittendrin im Nirgendwo steht ein nagelneuer Bahnhof für den Superschnellzug AVE. Wer hineinblickt, findet weder Schalter noch Bänke, schon gar kein Personal. Die Station dient als Gerätedepot für die Staatsbahnen. Denn bereits bei der wenig feierlichen Eröffnung war klar: Hier wird nie ein Zug halten, niemals auch nur ein einziger Passagier zu- oder aussteigen. Schon deshalb, weil auch die absehbar unrentable Strecke, deren Weiterbau vorerst gestoppt ist, vermutlich nicht in Betrieb geht. Und selbst wenn: Die Stadt Lugo ist nur 16 Kilometer entfernt. Wozu also ein Halt? Aber der Bahnhof steht, und die Kosten hat der Steuerzahler getragen: 90 Mio. Euro, samt einer geänderten Trassenführung durchs Niemandsland. Wie konnte das passieren?

Alles begann 2002, mit der Ölpest nach dem Tankerunglück der „Prestige“ vor der galizischen Küste. Um die zornigen Bürger der Region zu besänftigen, versprach ihnen den damalige Premier Aznar eine AVE-Linie: hundert Kilometer durch bergige Landschaft zwischen den Städtchen Ourense und Lugo. Beide haben nur rund 100.000 Einwohner.

Damit war kühlen Rechnern klar: Der Superschnellzug, der nur zwischen den Metropolen Madrid und Barcelona gut ausgelastet ist, wird dort ein super Verlustgeschäft. Aber Gumersindo Rodríguez Liz sah seine Stunde gekommen. Der Bürgermeister von O Páramo, in der Regionalpolitik bestens vernetzt, wollte sich im Weiler seiner Geburt ein Denkmal setzen. Wo die alte Windmühle stillsteht, sollte ein großer Industriepark erblühen – samt Bahnanbindung. Dafür holte sich der umtriebige Dorfoberste die Zusage des Provinzpräsidenten.

Doch die Pläne für die Gewerbezone verstaubten mit der Krise von 2008 endgültig in den Schubladen. Bahnhof und Trasse aber waren da schon auf Schiene. Jetzt sind sie fertig, und Liz muss selbst erkennen: „Hier steigt keine Menschenseele zu“. Er versteht auch die Bahn, irgendwie: „Die Unternehmen müssen auf ihre Wirtschaftlichkeit achten“. Aber er träumt weiter vom Industriepark, der dem Ort „Leben einhauchen“ werde, irgendwann: „Man muss den Dingen Zeit geben“. Zeit, bis sich in Spanien eine neue Immobilienblase aufbläht und das Land wieder in kollektiven Baurausch verfällt. Bis dahin bleibt die Estación de Páramo ein Monument und Menetekel des Größenwahns – entlegen, aber sehenswert.

karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2018)

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