Mit ihrer neuen Strafe gegen Google heizt Wettbewerbskommissarin Vestager den Argwohn von US-Präsident Trump an. Er fühlt sich seit Langem von der EU verfolgt.
Brüssel. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kann sich auf etwas gefasst machen, wenn er nächsten Mittwoch in Washington US-Präsident Donald Trump trifft, um Friedensverhandlungen im transatlantischen Handelskrieg zu führen. Denn am Mittwoch gab Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager all jenen Stimmen in den USA Auftrieb, die seit Längerem behaupten, Brüssel würde unter dem Deckmantel der Wettbewerbspolitik eine gezielte Kampagne gegen die Internetindustrie des Silicon Valley führen. Mit ihrer (nicht rechtskräftigen) Geldbuße von 4,34 Milliarden Euro gegen Google setzte die resolute 50-Jährige ihre Reihe an spektakulären Wettbewerbsentscheidungen gegen US-Technologiekonzerne fort. Ob es die Aufforderung an die Regierung Irlands war, unionsrechtswidrig gewährte Steuervergünstigungen im Gesamtwert von elf Milliarden Euro von Apple zurückzufordern, oder die Entscheidung, dass der Versandhandelsriese Amazon einzig aus dem Grund von Luxemburg aus sein Europageschäft steuert, weil das Großherzogtum ihm praktisch keine Steuern auferlegt: Oft kreuzten sich in der jüngeren Vergangenheit die Wege von Vestager und den Silicon-Valley-Giganten. Und jedes Mal musste die liberale Dänin den Vorwurf abwehren, sie handle aus politischem Antrieb.
Paris applaudiert Vestager
„Ich mag die USA sehr gerne“, erklärte Vestager folglich auch am Mittwoch. „Ich bin aus Dänemark, und wir Dänen mögen Amerika. Aber dieser Fall hat nichts damit zu tun, wie ich mich fühle.“ Es gehe um die Einhaltung der Wettbewerbsregeln, im Interesse der Verbraucher und von Googles Konkurrenten. Sie handle nicht politisch motiviert, sondern reagiere auf die ihrer Ansicht nach marktmissbräuchliche Praxis von Google, auf allen Mobiltelefonen, welche das Android-Betriebssystem verwenden, verpflichtend ein Android-Gesamtpaket zu installieren.
Doch natürlich weiß Vestager um die politischen Implikationen dieser Entscheidung. Aus Paris kam postwendend Applaus. Das sei eine „hervorragende Entscheidung“, erklärte ein Sprecher von Präsident Emmanuel Macron. Macron hält viel von Vestager; es ist ein offenes Geheimnis, dass er sie gerne als Nachfolgerin Junckers an der Kommissionsspitze sähe. Und Vestager denkt höchst politisch über die Rolle von Silicon Valley nach: „Es fehlt uns noch immer an einem Protokoll, einer Norm dafür, wie wir uns in der digitalisierten Gesellschaft verhalten sollen, und wie wir uns selbst in unserer Rolle in der Wirtschaft wahrnehmen“, sagte sie vorigen Juni im Gespräch mit der „Presse“. „Wann sind wir die Kunden? Wann sind wir das Produkt? In welcher Währung handeln wir? Was ist Privatsphäre?“
Spätestens seit dem G7-Gipfeltreffen in Quebec im Juni weiß auch die Weltöffentlichkeit, dass Donald Trump keine Freude mit der Politik der Kommission hat. „Ihre Steuerdame, die hasst die USA wirklich“, klagte Trump damals laut Ohrenzeugen. „Die Europäische Union ist so brutal zu den Vereinigten Staaten“, sagte er in Quebec bei einer Pressekonferenz. Am Mittwoch jedenfalls nahm Vestager Trumps persönliche Attacke gelassen zur Kenntnis: „Ich habe die Fakten selbst geprüft: Ich arbeite mit Steuern, und ich bin eine Frau. Das ist also zu 100 Prozent korrekt.“
Weitere Infos:www.diepresse.com/economist
REAKTION
Kostenpflichtig.Google-Chef Sundar Pichai widerspricht dem Vorwurf des Marktmissbrauchs. In einem Blog-Beitrag deutet er mehrmals an, dass aufgrund der hohen Strafe und der Vorgabe, Google-Apps einzeln anbieten zu müssen, Android künftig kostenpflichtig werden könnte. Bislang war das auf Open Source basierende Betriebssystem kostenlos.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2018)