Die europäischen Zankäpfel der italienischen Regierung

taliens Vizepremier und Innenminister, Matteo Salvini.
taliens Vizepremier und Innenminister, Matteo Salvini.(c) REUTERS (Tony Gentile)
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Die Konflikte zwischen Rom und der EU-Kommission beschränken sich nicht nur auf den Umgang mit Migranten und die italienische Budgetpolitik – auch der Ausbau der Verkehrs- und Energieinfrastruktur innerhalb der EU könnte unter die Räder geraten.

Wien. Dass Italiens Vizepremier und Innenminister, Matteo Salvini, in seiner ersten Reaktion der EU die Mitschuld am verheerenden Brückeneinsturz in Genua geben wollte, liegt in der Natur der Sache – für den Chef der rechtspopulistischen Lega (und ehemaligen Europaabgeordneten) fungiert die Union als Sündenbock für alle kleinen und großen Probleme, die das Gründungsmitglied der EU und drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone seit Jahren plagen. Seit dem Amtsantritt der populistischen Links-rechts-Koalition aus der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega im Juni stand der europäische Umgang mit der Flüchtlings- und Migrationskrise im Mittelpunkt der italienischen Kritik – am gestrigen Montag forderte Rom die EU-Kommission erneut auf, dafür zu sorgen, dass Migranten, die von Rettungsschiffen im Mittelmeer geborgen werden, auf alle Unionsmitglieder verteilt und nicht automatisch nach Italien gebracht werden.

Doch auch abseits der Migrationspolitik bieten die kommenden Monate ausreichend potenziellen Sprengstoff für die Beziehungen zwischen Italien und der Brüsseler Behörde. Der erste Härtetest erfolgt im Herbst, zeitgleich mit der heißen Phase der EU-Austrittsverhandlungen mit Großbritannien. Mitte Oktober, nur wenige Tage vor dem regulären EU-Gipfel in Brüssel, bei dem es vor allem um den Brexit gehen dürfte, muss Rom (wie alle anderen Unionsmitglieder auch) seinen Budgetentwurf für das kommende Jahr zur Begutachtung in Brüssel vorlegen.

Mujtaba Rahman und Federico Santi von der Risikoberatung Eurasia Group gehen davon aus, dass der italienische Entwurf der Kommission Kopfzerbrechen verursachen wird, und zwar aus mindestens drei Gründen. Erstens dürfte Finanzminister Giovanni Tria für 2019 ein höheres Budgetdefizit veranschlagen als ursprünglich avisiert – im Gespräch ist demnach ein Minus von bis zu 1,5 statt 0,8 Prozent des BIPs. Zweitens, weil Rom die für 2020 zugesagte schwarze Budgetnull auf später verschieben dürfte. Und drittens, weil die Italiener von der Brüsseler Behörde verlangen, dass sie staatliche Investitionen in die Infrastruktur aus ihrer Defizitrechnung ausklammert – eine Forderung, die nach der Katastrophe von Genua noch vehementer artikuliert werden dürfte.

Marktdruck gegen politischen Druck

Sollte die Regierung in Rom auf Konfrontationskurs gehen, hat die Kommission keine unmittelbaren Disziplinierungsinstrumente zur Hand. Maßnahmen wie das Standarddefizitprozedere der EU nehmen Zeit in Anspruch. Wie die Links-rechts-Regierung in Rom in der Tat haushaltet, wird erst im April 2019 offensichtlich, wenn die EU-Statistikbehörde Eurostat ihre Zahlen für 2018 vorlegt. Bis dahin werden es Kommission und die zwei Eurozonen-Schwergewichte Deutschland und Frankreich eher bei verbalen Interventionen belassen und darauf hoffen, dass der Druck der Finanzmärkte die Italiener diszipliniert.

Das Kalkül der Regierung in Rom läuft indes in die entgegengesetzte Richtung. Salvini und sein Ko-Vizepremier, Luigi Di Maio, setzen darauf, dass politische Kompromisslosigkeit die EU zum Umdenken zwingt – wie bei der Flüchtlingskrise, als die Schließung der italienischen Häfen für Flüchtlingsschiffe eine neue Dynamik in die europäische Debatte gebracht hat.

Ungemach droht der EU auch in der Verkehrs-, Energie- und Handelspolitik. In der Regierungskoalition wird darüber diskutiert, ob Italien aus dem geplanten Ausbau der Hochgeschwindigkeitszugstrecke Lyon–Turin aussteigen soll: Die Fünf-Sterne-Bewegung ist für das Ende des Projekts, die Lega befürwortet den Ausbau, der eine Lücke im europäischen Verkehrskorridor von Lissabon nach Kiew schließen soll. Ähnlich verlaufen die Fronten bei der geplanten transadriatischen Gaspipeline TAP, die Europa unabhängiger vom russischen Erdgas machen soll – die Fünf Sterne sind aus Umweltschutzgründen gegen das Projekt, die Lega hält sich in dieser Frage zurück.

Mehr Übereinstimmung gibt es indes in der Handelspolitik: Die Koalition in Rom macht keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen das Freihandelsabkommen EU-Kanada (Ceta), das derzeit provisorisch zur Anwendung kommt und von allen EU-Mitgliedern ratifiziert werden muss. (la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2018)

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