Charmeoffensive für die Lehre

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In Österreich machen 40 Prozent der Jugendlichen eine Lehre, in der deutschsprachigen Schweiz fast 80. Ein prominent besetzter Verein will die Jungen in die Betriebe locken.

Wien. Man habe, Gott sei Dank, noch nie ein Problem gehabt, Lehrlinge zu finden, sagt Viktor Sigl, Finanzvorstand der oberösterreichischen KTM. 270 Bewerber habe man heuer für 40 Lehrstellen gehabt. Ob das daran liegt, dass KTM besonders erfolgreichen Lehrlingen ein Motorrad schenkt? Oder daran, dass man als Motorradbauer bei den Jungen sowieso gut ankommt? Es geht jedenfalls auch anders: „Wir haben heuer das erste Mal keinen Elektroinstallationslehrling bekommen“, sagt Renate Scheichelbauer-Schuster, Unternehmerin und Spartenobfrau in der Wirtschaftskammer.

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Diese Not teilen viele Betriebe in Österreich. Die Zahl der Lehrlinge geht seit Jahrzehnten zurück: 1980 machten noch 194.089 Junge eine Ausbildung im Betrieb, voriges Jahr nur noch 106.613. Der Abwärtstrend ist vorerst gestoppt – aber das Problem bleibt. Für die Wirtschaftstreibenden ist klar: Das Image ist das Problem. Österreichweit machen 40 Prozent der Jugendlichen eine Lehre. Geht es nach Werner Steinecker, sollen es bald 50 sein: „Wir wollen die Lehre wieder als attraktivste Ausbildungsform etablieren.“ Steinecker hat vor 46 Jahren selbst mit einer Lehre als Starkstrommonteur bei der Energie AG begonnen. Heute ist er Doppeldoktor und Generaldirektor des Konzerns. Jetzt will er mit einem neuen Verein das Image der Lehre aufpolieren und die Jungen in die Betriebe locken.

Institut für Lehrlingsfragen

Mit dabei sind viele Platzhirsche der Wirtschaft: Kapsch, Hofer, KTM, Schoeller-Bleckmann, die Uniqa. Der Verein Zukunft.Lehre.Österreich will ein Alumni-Klub für ehemalige Lehrlinge sein, Imagekampagnen in die Schulen bringen, potenzielle Lehrlinge mit Goodies überzeugen – zum Beispiel exklusiven Konzerten angesagter Bands. Außerdem soll ein Universitätsinstitut für Lehrlingsfragen eingerichtet werden. Finanziert wird das alles durch Mitgliedsbeiträge der Unternehmen: Sie zahlen 100 Euro pro Jahr und beschäftigtem Lehrling ein, der Betrag ist bei 30.000 Euro gedeckelt.

Bis 2030 würden in Österreich 500.000 Fachkräfte fehlen, das entspricht einem Produktivitätsverlust von 55 Mrd. Euro, zitiert Steinecker aus einer Studie von Korn Ferry. Vor allem im Osten Österreichs würden Eltern ihre Kinder lieber in eine höhere Schule schicken als in eine Ausbildung. 60 Prozent der Wiener stünden der Lehre kritisch gegenüber, im Westen des Landes seien es nur 20.

Scheichelbauer-Schuster kritisiert, dass Eltern der Schule den Vorzug geben würden, „koste es, was es wolle. Man denke nur an die vielen Millionen Euro, die für Nachhilfe ausgegeben werden.“ Oft würde dabei großer Druck auf die Kinder ausgeübt. Das Problem in ihrer eigenen Firma sei nicht, dass sich niemand beworben hat. „Aber wir haben den richtigen jungen Menschen nicht gefunden.“

Arbeitnehmervertreter würden an dieser Stelle einhaken. Die sehen nämlich vor allem die Betriebe in der Pflicht. Neben der Zahl der Lehrlinge sank zuletzt auch die der ausbildenden Unternehmen. Die Firmen würden zu wenig Plätze anbieten, argumentiert die Arbeiterkammer. Sie müssten nur mehr Lehrlinge aufnehmen, um den Fachkräftemangel zu beheben.

Steinecker hat naturgemäß eine andere Sicht auf die Dinge. „Viele Betriebe resignieren, weil sie keine Lehrlinge bekommen.“ Im September kamen auf 7715 offene Lehrstellen 7478 Suchende (sofort verfügbar). Die Gewerkschaft fordert in der aktuellen Lohnrunde eine Anhebung der Lehrlingsentschädigung auf bis zu 1600 Euro im dritten Lehrjahr.

Schweißerausbildung Pflicht

Den Fachkräftemangel kennt man auch bei KTM. Vor zwei Jahren habe man Probleme in der Produktion gehabt, weil man keine Schweißer finden konnte, erzählt Finanzvorstand Sigl. Deshalb wurden kurzerhand alle Lehrlinge zu einer Schweißerausbildung verpflichtet. Manchmal muss man eben einfach nur kreativ werden.

AUF EINEN BLICK

Ausbildung. Die Zahl der Lehrlinge sinkt seit fast 30 Jahren – was auch daran liegt, dass es demografiebedingt weniger Jugendliche gibt. Heuer ist der Abwärtstrend vorerst gestoppt, die Zahl der Lehrlinge stieg von rund 107.000 im Vorjahr auf rund 108.000 heuer. Die Bundesregierung will das Image der Lehre verbessern. Das gleiche will der gestern, Donnerstag, vorgestellte private Verein Zukunft.Lehre.Österreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2018)

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