China: Droht jetzt die große Schuldenblase?

Hafen von Shanghai
Hafen von Shanghai REUTERS
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Die chinesische Wirtschaft wächst so langsam wie seit 2009 nicht mehr. Das Regime dreht die Geldschleusen auf – und kübelt damit sein Ziel, die finanziellen Risken einzudämmen.

Wien. Wer in der letzten Zeit das Treiben am Hafen von Shanghai beobachtet hat, wäre nicht auf die Idee gekommen, dass sich die Aussichten für Chinas Wirtschaft gerade stark eintrüben. Eifrig wurden da Container mit Kleidung, Spielzeug und Haushaltsgeräten verschifft. Aber der Schein trügt: Bevor Trumps Strafzölle voll greifen und sich ausweiten, haben sich sich US-Importeure noch mit chinesischen Waren eingedeckt. So hat das Wachstum von Chinas Exporten noch einmal leicht angezogen. Aber für die Zukunft, vor allem für den Jahresstart 2019, sind umso herbere Rückschläge zu erwarten. Dabei schwächt sich das Wachstum in Summe jetzt schon deutlich ab: 6,5 Prozent waren es auf Jahresbasis im dritten Quartal – der niedrigste Wert seit Anfang 2009, mitten in der Finanzkrise.

Wie so oft bei Pekings Statistiken gibt es Zweifel an den offiziellen Zahlen. Nicht an ihrer Tendenz, sondern daran, ob sie das Ausmaß der Abkühlung nicht untertreiben. So erlitten ausländische Autokonzerne wie VW und GM im September zweistellige Einbrüche bei den Umsätzen – was etwas ganz anderes ist als nur ein abflauendes Wachstum. Europäische Unternehmer vor Ort sprechen von Stagnation in den hoch entwickelten Küstenregionen, die das Gros der Wirtschaftsleistung erzielen. Der Aktienleitindex ist seit Jahresbeginn um 30 Prozent abgestürzt.

Staatliche Beruhigungspillen

Auf jeden Fall steht die Politik unter Zugzwang. So kam es am Freitag zu einer selten gesehenen konzertierten Aktion: Der Vizepremier, der Notenbank-Gouverneur und die beiden obersten Finanzmarktregulatoren beruhigten die Investoren über die Staatsmedien. Nun werde alles getan, um private Unternehmen mit ausreichend Krediten zu versorgen. Und mit Liquidität – viele börsenotierte Firmen haben eigene Aktien verpfändet, um sich stärker verschulden zu können, und leiden nun unter dem Wertverfall ihrer Sicherheiten. Die Ausgabe von Hochrisikoanleihen für kleinere Unternehmen wird ebenso forciert wie Schuldscheine von Lokalregierungen, die Infrastruktur finanzieren sollen. Die Beruhigungspille wirkte: Chinas Aktienmärkte schlossen nach anfänglichen Verlusten deutlich im Plus. Massive staatliche Konjunkturstützung kommt immer gut an.
Doch damit konterkariert das Regime in Peking seine eigenen Bemühungen der vergangenen beiden Jahre. Es war das erklärte Ziel von Präsident Xi Jinping, die finanziellen Risken durch die überbordende Verschuldung zu verringern. Bei über 2000 kostspieligen und unrentablen Projekten, die Provinzen zusammen mit Privatunternehmen umsetzen wollten, zog Peking den Stecker, laut einem Bericht des staatlichen Thinktanks Cass. Ihr Gesamtwert: umgerechnet über 300 Mrd. Euro. Auch speziellen Vehikeln, mit denen Gebietskörperschaften ihre Neuschulden versteckten, wurde der Kampf angesagt. Dafür nahm man bewusst eine schwächere Dynamik in Kauf: Die Investitionen in Infrastruktur und Immobilien waren schon im ersten Halbjahr die stärkste Bremse. Was für das heurige Wachstumsziel noch kein Problem ist: Mit 6,5 Prozent hat man es so tief angesetzt, dass die Latte jedenfalls zu nehmen ist.

Trump darf nicht obsiegen

Warum also nun die Kehrtwende? Die anderen Wirtschaftsbereiche dürften nun stärker leiden als erwartet. Die Anlageinvestitionen legten von Jänner bis August so schwach zu wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen. Auch die Konsumlaune, die wichtigste Stütze der Konjunktur, trübt sich ein. Die US-Strafzölle kommen noch dazu, zusammen mit einer schwächeren Nachfrage aus anderen Schwellenländern. Damit steigt die Gefahr, dass die Abschwächung zu stark ausfällt, um die weiter in die großen Städte drängende Landbevölkerung beschäftigen zu können. Dazu kommt der Nationalstolz als psychologischer Effekt: Die Regierung will dem US-Präsidenten nicht die Genugtuung gönnen, dass seine Strafmaßnahmen wirken. „Am Ende wird China alles tun, um [...] den USA zu zeigen: ,Hey, wir brauchen dich nicht‘“, sagt der Analyst Ray Attrill vom Finanzhaus NAB.

Peking steht also vor einem Dilemma: Entweder bleibt die Politik auf dem Pfad des Schuldenabbaus und muss dafür ein viel schwächeres Wachstum in Kauf nehmen als erwartet. Oder sie pumpt wieder massiv Geld ins System, was wenig Ertrag bringt, zu Kredit- und Immobilienblasen führt und die langfristigen Ungleichgewichte gefährlich verschärft. Die Entscheidung scheint gefallen zu sein. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2018)

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