Das wirklich Gute am Kleinen

(c) Clemens Fabry
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Blick von außen. Was macht den Wirtschaftsstandort Österreich aus? Vier nicht österreichische Manager großer Konzerne verraten ihre Eindrücke. Und diese sind überwiegend positiv.

Als Andreas Bierwirth Anfang 2008 nach Wien übersiedelte, war das eine recht große Herausforderung. Der neue Job nämlich. Den Deutschen hatte es just in den Vorstand der Austrian Airlines verschlagen, und das war wirklich kein Spaziergang: Die nationale Fluglinie war ein Ausbund an wirtschaftlicher Erfolglosigkeit, der Betriebsrat ein gewaltiger Machtfaktor, die Politik redete ständig drein. Dass die AUA letztlich doch überlebt hat, ist für Bierwirth auch einem wesentlichen Faktor zu verdanken: dem Hang der Österreicher, sich an einen Tisch zu setzen und Dinge auszureden.

ÖSTERREICHISCHE LÖSUNG

„Wir wer'n kann Richter brauchen“, heißt es in Österreich salopp. Vulgo „österreichische Lösung“. Und für Bierwirth, mittlerweile Chef von T-Mobile, ist sie ein echtes Asset des Landes. Wieso Österreicher dazu neigen, den Begriff ins Lächerliche zu ziehen, versteht er nach all den Jahren immer noch nicht. Stolz sollten wir auf die „österreichische Lösung“ sein, findet er.

Das ist wohl das große Aha-Erlebnis ausländischer Manager, die nach Österreich kommen: Wir sind ein geselliges Volk, auch auf höchster Ebene. Es geht bei uns persönlich, oft auch freundschaftlich zu. Bierwirth: „In Österreich hat die Person des Wirtschaftstreibenden eine stärkere Gewichtung, in Deutschland ist das relativ anonym.“

Was natürlich nicht nur Mentalitätssache ist, sondern auch mit der Kleinheit Österreichs zu tun hat. Rainer Seele, ebenfalls Deutscher und seit drei Jahren OMV-Chef, hat das auch schnell gelernt: „Österreich ist ein Land der Netzwerker“, sagt er. Alle paar Abende gibt es Empfänge, man trifft sich, man kennt sich. „Das ist deutlich intensiver als in Deutschland“, findet Seele. Auch der Deutsche Alexis von Hoensbroech, seit August AUA-Chef, hat in wenigen Monaten einschlägige Erfahrungen gemacht: „Die Nähe zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft ist in Wien schon sehr speziell“, sagt er. Was positiv gemeint ist: „Man spürt eine Gemeinsamkeit, die in Deutschland nicht so stark ausgeprägt ist. Es herrscht ein Grundkonsens, das Land voranzubringen. Das ist eine eindeutige Stärke.“ Bierwirth ergänzt: „Es gibt ein natürliches Vertrauensverhältnis, eine natürliche Offenheit. Man kennt sich, man hat Ansatzpunkte. Dadurch können Probleme pragmatischer und schneller gelöst werden.“

INTRIGE

Was natürlich nicht heißt, dass die Alpenrepublik ein Hort des Friedens wäre. Gerade das häufige Aufeinandertreffen zu abendlicher Stunde verleitet nämlich auch zu ausgiebigem Tratsch: „Hast du schon gehört?“ wird da gern als Ankündigung für Gerüchte aller Art verwendet. Und wenn man dann auch noch Manager eines teilstaatlichen Konzerns ist, kann das schon bedeuten, dass man selbst im Zentrum der Spekulationen ist.

Der Argentinier Alejandro Plater kennt das recht gut. Im August 2015 wurde er Chef der Telekom Austria – als Statthalter des Mehrheitseigentümers América Móvil. Mit der österreichischen Politik hatte er es nicht unbedingt leicht, wiewohl er betont, von politischem Einfluss nichts mitbekommen zu haben. Mittlerweile ist er einfaches Vorstandsmitglied – ihm wurde ein Österreicher vor die Nase gesetzt.
OMV-Chef Seele wiederum sieht Österreich auch als „Land des journalistischen Einfallsreichtums“. Klar: Seine Expansionsplänen nach Russland haben nicht überall für Begeisterung gesorgt.

KLASSENKAMPF

Für Alejandro Plater war der klassenkämpferische Ton hierzulande eine große Überraschung: „Kapital versus Arbeit: Das ist schon sehr gewöhnungsbedürftig“, sagt er. „Als Chef gehöre ich offenbar zu den Kapitalisten. Aber ich bin doch auch Arbeitnehmer?“ Befremdend habe er das Ersuchen des Betriebsrats empfunden, danach zu trachten, die Mitarbeiter zu motivieren. „Um Himmels Willen“, sagt Plater: „Da sind wir doch nicht Gegner!“

Ja, ganz so friedfertig sind die Österreicher dann doch nicht. Trotzdem tragen sie Konflikte offenbar anders aus als anderswo. Andreas Bierwirth beschreibt es als „elegantes Tanzen um Konflikte herum. Man sudert gern, versucht aber im Endeffekt Konflikte zu vermeiden.“ Für AUA-Chef von Hoensbroech liegt das daran, dass die eingangs beschriebene persönliche Nähe aller Protagonisten „es auch schwierig macht, miteinander durch Konflikte zu gehen“. Wenn es sich aber doch nicht vermeiden lässt, dann – so Bierwirth – „fliegen die Hackln tief“.

DIALEKT

Die „Hackln“ also – wir sind beim österreichischen Idiom. Auch das lieben nicht österreichische Manager. OMV-Chef Seele rutscht schon hin und wieder ein „deppert“ heraus – oder ein „madig machen“. Bierwirth hat das „bissl“ und das „Sackerl“ im Repertoire. Das zeugt von Anpassungsfähigkeit und wird obendrein als charmant empfunden.

TITELSUCHT

Als charmant wird auch die Beflissenheit bei Titeln bezeichnet. Trotzdem: Als „Herr Generaldirektor“ bezeichnet zu werden, ist für Alexis von Hoensbroech neu. „Damit fremdle ich ein bisschen“, sagt er. Aber den Österreichern ist der Kotau halt immens wichtig. Was bisweilen auch zu Schockerlebnissen führen kann – etwa bei Alejandro Plater, den anfangs die hierarchischen Strukturen im Konzern verblüfften. OMV-Chef Seele liebt die Titelsucht mittlerweile: „Sie ist Ausdruck von Höflichkeit und eine wahre Freude“, sagt er augenzwinkernd.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2018)

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