Zur Treffsicherheit von Notenbank-Prognosen nach der Finanzkrise

EZB
EZBREUTERS
  • Drucken

Jeden Montag präsentiert die „Nationalökonomische Gesellschaft“ in Kooperation mit der „Presse“ aktuelle Themen aus der Sicht von Ökonomen. Heute: Florian Huber und Michael Pfarrhofer über Geldpolitik.

Im November 2008 fragte Queen Elizabeth II bei einer Veranstaltung der London School of Economics die versammelten Ökonom/innen: "Why did nobody notice it?" Gemeint war die Finanzkrise 2008, die nicht im vollen Ausmaß vorhergesagt werden konnte. Dies führte zu einer anhaltenden Diskussion über die Sinnhaftigkeit makroökonomischer Prognosen und der generellen Frage nach der Adäquanz der damals verwendeten Modelle. Kritiker führten eine Reihe von Ursachen an, die für die schwache Prognosegüte verantwortlich waren.

Die Gründe sind vielschichtig und betreffen meist die zugrundeliegenden Modellannahmen. Viele der vorrangig eingesetzten Modelle berücksichtigten beispielsweise den Finanzsektor bestenfalls rudimentär. Ein weiterer Kritikpunkt war, dass empirische Zusammenhänge oft als konstant angenommen werden, z.B. zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation. In der Finanzkrise schienen diese historisch beobachteten Muster plötzlich irrelevant.

Die Relevanz von Prognosen im geldpolitischen Entscheidungsprozess

Diese und weitere Probleme fanden Eingang in die makroökonomischen Diskussionen während und nach der Finanzkrise. Die empirischen Modelle wurden entsprechend erweitert und deren Prognosekraft nachhaltig verbessert. Doch warum macht es Sinn, dass Ökonomen makroökonomische Vorhersagen tätigen? Ein prominentes Beispiel für die Relevanz wirtschaftlicher Prognosen ist deren Einsatz in Notenbanken.

Der ökonomische Blick

Jeden Montag gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der „Presse"-Redaktion entsprechen.

diepresse.com/oekonomischerblick

Moderne Geldpolitik beruht auf dem Spiel mit Erwartungen von Haushalten und Firmen über zukünftige Zins- und Preisentwicklungen. Notenbanken müssen ihre Geldpolitik aus einer dynamischen Perspektive analysieren. Das bedeutet, dass sowohl der Effekt auf Größen wie Arbeitslosigkeit und Inflation, als auch auf die zugrundeliegenden Erwartungen gemessen werden müssen. Diese Effekte werden meist im Rahmen von dynamischen Modellen betrachtet. Notenbanken müssen jedoch zu kritischen Zeitpunkten die richtigen Entscheidungen treffen. Wenn also die US-Notenbank Federal Reserve, wie in der Juli-Sitzung beschließt, die Zinsen zu senken, so basiert diese Entscheidung auf Prognosen über den kurz- bis mittelfristigen Konjunkturverlauf.

Die Prognosekraft moderner Methoden

Die Qualität geldpolitischer Entscheidungen ist eng mit der Trefferquote von Prognostikern verbunden. Daher stellt sich die Frage, wie genau die Vorhersagen von Notenbanken sind und ob konventionelle Methoden in der Lage wären, eine Krise wie die große Rezession zeitnah zu erkennen. Als Beispiel untersuchen wir, wie sich die Prognosequalität zwischen traditionellen makroökonomischen Modellen von neueren Methoden unterscheiden, wie sie derzeit z.B. von der Europäischen Zentralbank (EZB) oder der US Federal Reserve eingesetzt werden.


Die entscheidende Frage ist daher, ob moderne Modelle in der Lage gewesen wären, den Abschwung zu prognostizieren? Um dies zu beantworten, führen wir ein Gedankenexperiment durch. Wir stellen uns vor, uns im dritten Quartal 2008 zu befinden. Der Großteil der Wirtschaftsforschungsinstitute und Notenbanken beobachtete bereits erhöhte Unsicherheit auf den Finanzmärkten. Unklar war jedoch, inwiefern sich diese auf reale Größen wie Wirtschaftswachstum oder Inflation auswirken. Im nächsten Schritt verwenden wir bis zum dritten Quartal 2008 verfügbare Daten und prognostizieren die Inflation während der Krise. Die Vorhersagen basieren auf zwei Modellen: Erstens ein empirisches Standardmodell, welches von den Notenbanken seit den späten 1980er Jahren eingesetzt wurde. Zweitens ein erweitertes Modell, das in der Lage ist, sowohl Veränderungen in den makroökonomischen Zusammenhängen zu erkennen, als auch große Datenmengen (beispielsweise aus dem Finanzsektor) effizient zu verarbeiten.

Vergleich zwischen den Prognosen von Modellen vor der Krise und neuartigen Modellen. Quelle: Eigene Berechnungen.
Vergleich zwischen den Prognosen von Modellen vor der Krise und neuartigen Modellen. Quelle: Eigene Berechnungen.

Die Abbildung zeigt den vorhergesagten Wert der Inflation (schwarze Linie, strichliert) und die Unsicherheit dieser sogenannten Punktprognose (schattierte Flächen, auch als Prognoseintervalle bezeichnet). Man sieht, dass das traditionelle Modell die Unmittelbarkeit des Einbruchs im Preisniveau unterschätzt. Außerdem ist die Vorhersage mit großer Unsicherheit behaftet. Problematisch ist zudem, dass der realisierte Wert der Inflation (schwarze Linie) außerhalb der schattierten Flächen liegt. Dies bedeutet, dass das zugrundeliegende Modell einen abrupten Einbruch in der Inflation als unwahrscheinlich einstuft.

Im Gegensatz dazu liefert das erweiterte Modell eine weitaus genauere Inflationsprognose. Das Risiko einer Deflation wird unmittelbar angezeigt. Dies trifft für die Punktprognose wie auch die Prognoseintervalle zu, welche den Abschwung der Inflation mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit vorhersagen. Während der Krise hätte diese Einschätzung hätte eine bessere Entscheidungsgrundlage für geldpolitische Maßnahmen der EZB geliefert.

Unser Beispiel profitiert offensichtlich davon, dass im Nachhinein alle Fakten bekannt sind und auch die Entwicklung der makroökonomischen Fundamentaldaten beobachtbar ist. Nichtsdestotrotz begünstigten die Erfahrungen während und nach der Finanzkrise die Entwicklung von realistischeren Modellen, welche die Treffsicherheit von makroökonomischen Prognosen wesentlich erhöht haben. Ob sich die neuen Methoden auch unter realen Bedingungen und in Echtzeit bewähren, wird sich im Zuge der nächsten Wirtschaftskrise zeigen.

Die Autoren

Florian Huber (*1987 in Spittal an der Drau) ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Salzburg.

Michael Pfarrhofer (*1993 in Linz) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Salzburg und der Wirtschaftsuniversität Wien.

Florian Huber und Michael Pfarrhofer
Florian Huber und Michael PfarrhoferBereitgestellt

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Der ökonomische Blick

Österreichs Kampf gegen die Inflation ist teuer, klimaschädlich und nicht treffsicher

Österreich befindet sich bei Ausgaben gegen die Inflation im Vergleich von 29 europäischen Ländern an fünfter Stelle. Zu einem großen Teil sind die Maßnahmen jedoch kontraproduktiv für die Klimaziele und nicht treffsicher. Wie das in Zukunft verhindert werden könnte.
Der ökonomische Blick

(Was) verlieren Arbeitnehmer, wenn sie ein paar Monate lang nicht arbeiten gehen?

In unserer jüngsten Studie untersuchen wir die Folgen einer vorübergehenden Abwesenheit vom Arbeitsplatz auf die langfristige Lohnentwicklung ungarischer Arbeitnehmer:innen. Und kamen zu zwei wesentlichen Ergebnissen.
Der ökonomische Blick

Wie der Mietpreisdeckel in der Bevölkerung gesehen wird

Unter Ökonomen besteht ein hoher Konsens darüber, dass die aktuell intensiv diskutierten Mietregulierungen ineffizient sind. Doch welche Effekte dieser Maßnahme sind für die Bevölkerung wichtig und für die hohe Unterstützung in der Öffentlichkeit ausschlaggebend?
Der ökonomische Blick

Wie die Corona-Pandemie Österreichs Immobilienmarkt beeinflusst hat

Wie haben sich Lockdowns, Ausgangsbeschränkungen und Veränderungen in den Arbeitsbedingungen auf den österreichischen Immobilienmarkt ausgewirkt? Eine Bilanz.
Der ökonomische Blick

Sprache und Integration: Die langfristigen Wirkungen der Schulpolitik

Programme für neu eingetroffene Flüchtlinge und Migranten gelten als besonders erfolgreich, wenn sie einen starken Schwerpunkt auf Sprachtraining setzen. Eine empirische Studie aus den USA legt nun nahe, dass die erzwungene Sprachwahl an der Schule nach hinten losgehen kann.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.