AMS-Chef: Pflicht zur gemeinnützigen Arbeit "richtig"

AMSChef Pflicht gemeinnuetzigen Arbeit
AMSChef Pflicht gemeinnuetzigen Arbeit(c) Michaela Bruckberger
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Johannes Kopf im Gespräch mit der Presse über depressive Arbeitslose, ungeduldige Akademiker und warum der Arbeitsort auch weiter weg sein darf.

Die Presse: Durch die Mindestsicherung bekommt das AMS 20.000 schwierige Kunden mehr. Wie wollen Sie die an den Arbeitsmarkt heranführen?

Johannes Kopf: Es stimmt, das sind oft schwierige Kunden. In Wien haben wir 800 von ihnen in einem Pilotprojekt bereits betreut. Die hatten oft mehrfache Vermittlungshemmnisse: Wohnungslosigkeit, Sucht, Alkohol, Schulden. Erst wenn man das gelöst hat, kommt man zum Problem der schlechten Ausbildung.Von 1600 Eingeladenen ist übrigens die Hälfte gar nicht gekommen.

Was haben diese Leute vorher gemacht?

Früher holten sie sich beim AMS nur den Vormerkschein, den das Sozialamt sehen wollte. Mit dem Zettel bekamen sie Sozialhilfe für ein halbes Jahr bewilligt. Wenn wir sie vierzehn Tage später zum ersten Termin eingeladen haben, sind sie nicht erschienen. Das erfährt das Sozialamt jetzt sofort.

Was passiert mit jenen, die nicht erscheinen?

Vorgesehen ist, dass man das Geld in Schritten bis zur Hälfte kürzen kann. Bei dem Pilotprojekt hat die Gemeinde Wien die Leute zu einem Gespräch eingeladen und festgestellt, dass es manchmal gute Gründe gibt, warum jemand nicht kommt. Vielleicht ist er nicht gesund genug und gehört zum Arzt. Das muss gelöst werden, bevor wir beginnen können, mit den Menschen zu arbeiten.

Was halten Sie vom Vorschlag, Bezieher von Mindestsicherung nach einem halben Jahr zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten?

Die Politik muss entscheiden, ob sie Leistungsbezüge an Bedingungen knüpft. Für uns ist gemeinnützige Arbeit richtig, wenn sie als Ziel eine Integration in den Arbeitsmarkt hat. Wir kennen und nutzen solche Instrumente bereits. Wenn Gemeinden und gemeinnützige Vereine Langzeitarbeitslose beschäftigen, bezahlen wir zunächst den vollen Lohn. Auch zu geförderten Betrieben wie dem Inigo-Beisl, das von der Caritas geführt wird, schicken wir Leute. Dort fliegt man nicht sofort raus, wenn man zweimal zu spät kommt. Nach einem halben Jahr sind diese Leute oft so weit stabilisiert, dass wir sie an ein normales Kaffeehaus vermitteln können.

Wie kommt es, dass Firmen oft klagen, dass fast alle Arbeitslosen, die das AMS schickt, keinen Job, sondern nur einen Stempel wollen?

Da sind wir auf die Rückmeldung der Betriebe angewiesen, was diesen aber oft zu mühsam ist. Bei uns zeigt sich jeder Jobsuchende hoch motiviert. Ein Problem ist: Die Firmen wollen nur topmotivierte Superleute, und die Arbeitssuchenden wollen nur gut bezahlte, hoch interessante Jobs. Wir können aber nicht nur die Guten zu den Betrieben schicken. Daher arbeiten wir mit Lohnzuschüssen, wenn es Qualifizierungsdefizite gibt.

Was tun Sie mit Leuten, die einfach nicht wollen?

Wir streichen ihnen das Arbeitslosengeld. Im Vorjahr ist das 13.000-mal passiert. Meine These ist aber: Es gibt weniger Menschen, die gar nicht wollen, als man glaubt.

Wie viele gibt es denn?

Das ist schwierig zu schätzen. Bei längerer Arbeitslosigkeit entsteht zuerst Enttäuschung, wenn man nur Absagen erhält. Später entwickelt sich eine gewisse Antriebslosigkeit. Viele sagen dann aus Selbstschutz: „Es ist gar nicht so schlecht. Ich kann morgen lange schlafen.“ Jeder kennt einen Arbeitslosen, von dem man das Gefühl hat, der will gar nicht arbeiten. In Wirklichkeit schützt er sich selbst und kann nicht arbeiten.

Es gibt aber auch Arbeitslose, die nicht daheim sitzen und deprimiert sind.

Aber es ist schwierig, das zu unterscheiden. Es ist auch unsere Aufgabe, Sozialmissbrauch zu verhindern. Durch die Mindestsicherung haben wir jetzt Leute, die sich beschweren: „Ihr habt mich zehn Jahre lang in Ruhe gelassen, und jetzt belästigt ihr mich.“ Etwas, das wir nicht beim AMS im Angebot haben, ist, in Ruhe gelassen zu werden und sein Arbeitslosengeld zu beziehen.

Reichen die Zumutbarkeitsbestimmungen aus?

Zwei Dinge sollte man ändern: Erstens hat uns das Höchstgericht enorme Begründungspflichten aufgebürdet, warum eine Schulung genau für diesen Fall und diese Person notwendig und richtig ist, sonst ist keine Sperre zulässig. Das führt zu unglaublichem bürokratischen Aufwand, den unsere Berater im täglichen Geschäft oft scheuen, weil sie sich in der gleichen Zeit lieber mit drei Leuten beschäftigen, die arbeiten wollen. Zweitens könnte man diskutieren, ob es zumutbar ist, den Weg von und zur Arbeit in drei statt in zwei Stunden zu bewältigen.

Sie würden sich wünschen, dass es leichter wird, Arbeitslosengeld zu sperren?

Ja, weniger Bürokratie würde mehr Zeit für Vermittlung bedeuten.

Manche Leute beklagen sich, dass sie im ersten Monat keinen Beratungstermin bekommen...

Sie bekommen am ersten Tag einen, um sich arbeitslos zu melden. Manche wollen gleich intensiv mit dem AMS arbeiten. In den ersten drei Monaten gibt es aber aus Ressourcengründen nur kurze Termine. Ab dem dritten Monat– da sind schon 60 Prozent der Leute weg– werden die Termine länger. Ich kenne Akademiker, die sagen: „Das AMS hat nichts getan für mich.“ Da sage ich: „Absichtlich.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Leute selbst etwas finden, ist hoch. Erst, wenn jemand länger als drei Monate arbeitslos ist, kümmern wir uns intensiv um ihn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2010)

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