Fröhlicher als Miller, kürzer als Goethe

Erste-Bank-Chef Andreas Treichl erklärt die Parallelen zwischen »Faust« und dem »Best Sell Er«.

Reinhold Gmeinbauer hat ein Buch geschrieben. Wie man sieht, geht das Zeitungsgeschäft heute praktisch von allein, ein Verlagschef muss sich eine Nebenbeschäftigung suchen, um nicht Opfer der Langeweile zu werden.

Reinhold Gmeinbauer hat eigentlich kein Buch geschrieben. Er hat es erzählt und aufschreiben lassen – Konzentration auf das Wichtige. Ich vermute, Herr Gmeinbauer hat nur den Titel selbst geschrieben: Best Sell Er. Ein Buch „Bestseller“ zu nennen– das erinnert mich an den Witz von dem Kaufmann, der seinem Sohn den Vornamen „Doktor“ gibt und sich das Geld für das Studium spart.

Auf der Titelseite verspricht das Buch „101 Tipps für erfolgreiches Verkaufen“. Erfreut denken wir: Endlich ein Sachbuch über das Verkaufen, wieso ist bisher noch niemand auf diese Idee gekommen! Der geübte Leser findet den zweiten Satz auf der Titelseite: „Mein Weg als Verkäufer“. Das trifft den Kern. Es handelt sich um autobiografische Literatur, verwoben mit einem 180-seitigen Plädoyer für das Verkaufen als Beruf und Lebensphilosophie.

Wenn wir das Werk literarisch einordnen wollen, dürfen wir es nicht in einer Reihe sehen mit Büchern von Dale Carnegie und Konsorten, sondern müssen es im Kontext der Literatur über Verkäufer betrachten. Gmeinbauer steht in einer Reihe mit Arthur Miller („Death of a Salesman“) oder William Shakespeare. Auch Goethe beschreibt einen legendären Verkäufer: Ein gewisser Faust verkauft dem Teufel seine Seele – und bekommt eine Rundreise und ein originalverpacktes Mädchen. Kein schlechtes Geschäft. Dazu passt Gmeinbauers Tipp: „Mach dein Verkaufsgespräch zu einem außergewöhnlichen Erlebnis für den Kunden.“ Mephisto hat sich daran gehalten. Was Gmeinbauers Opus magnum von den genannten Werken unterscheidet, ist das Happy End. Was daran liegt, dass der Autor sich offensichtlich an seine eigenen Tipps hält. Ich zitiere wieder: „Inszeniere deine Geschichte“. Das tut er, jawohl!

Schon der Beginn des Buches! Literaturwissenschaftler werden ihn über Generationen als Beispiel dafür studieren, wie universelle Gerechtigkeit dadurch entsteht, dass der Verlust des einen und der Gewinn des anderen sich die Waage halten. Was ich damit meine? Nun, Gmeinbauer berichtet davon, wie im November 1963 die USA ihren Präsidenten John F. Kennedy durch ein Attentat verloren, aber Österreich Reinhold Gmeinbauer durch Geburt gewann. Ein gutes Geschäft für Österreich. Die Welt war im Lot.

Im Buch finden wir viele Parallelen zwischen Gmeinbauers „Best Sell Er“ und Goethes „Faust“, der sich auch nicht schlecht verkauft hat. Gmeinbauer berichtet von seiner schulischen Laufbahn: Volksschule – gut gewesen. Hauptschule – mäßig gewesen. Polytechnikum – besser gewesen. Polizeischule – dort gewesen. Bei Faust klingt das so: „Da steh' ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“

„Polizeischule?“ Stimmt. Gmeinbauer hat seine Laufbahn in Uniform begonnen. Nicht als gewöhnlicher Polizist, sondern bei einer Sondereinsatztruppe zur Bekämpfung unorganisierter Stille: der Polizeimusik. Dort hat er gelernt, wie man Leuten den Marsch bläst– so etwas nützt einem das ganze Leben. Neben der Polizei hat Gmeinbauer früh begonnen zu verkaufen, zuerst Versicherungen. Da war er nun, beamteter Schurkenschreck einerseits und erfolgreicher Verkäufer andererseits.

Ich zitiere dazu nochmals: „Du bist dir nur des einen Triebs bewusst, / O lerne nie den andern kennen! / Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. / Die eine will sich von der andern trennen; / Die eine hält, in derber Liebeslust / Sich an die Welt mit klammernden Organen;/ Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust/Zu den Gefilden hoher Ahnen ...“.

Manche werden es ahnen: Das Zitat stammt nicht von Gmeinbauer, sondern von Goethe. Passt aber wie die Faust aufs Aug'. So geht es weiter: Faust betrinkt sich, Gmeinbauer kündigt bei der Polizei. Gibt die Unkündbarkeit auf, um nach Unsterblichkeit zu streben.

Ich könnte erzählen, wie aus dem musikalischen Polizisten der Manager geworden ist. Aber das wäre Diebstahl. Ich würde Sie berauben um das Vergnügen, den Werdegang eines Bestsellers selbst zu lesen. Das ist ernst gemeint: Das Buch ist vergnüglich zu lesen. Nicht so gut gereimt wie von Goethe, aber in einem lockeren Gesprächston, der einen über die Seiten fliegen lässt. Im literarischen Vergleich kann man sagen: „Best Sell Er“ ist fröhlicher als „Death of a Salesman“, hat mehr Tipps als „The Great Gatsby“, ist nicht halb so gruselig wie „The Merchant of Venice“ und viel kürzer als der „Faust“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2010)

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