"Galt nicht als schicklich, sich mit Börse zu befassen"

Galt nicht schicklich sich
Galt nicht schicklich sichAP Photo/Michael Probst
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Der renommierte Jugend- und Wirtschaftsbuchautor Nikolaus Piper erklärt, warum Ökonomie immer eine schwierige Wissenschaft bleiben wird.

Dem deutschen Journalisten und Autor Nikolaus Piper ist etwas Seltenes gelungen: Sein Kinderbuch "Geschichte der Wirtschaft" wurde 2003 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, 2009 gewann er mit "Die Große Rezession" den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis. Ob Kinder oder Erwachsene: Sein Ziel ist es, Wirtschaft leicht verständlich zu machen. Im Interview mit "DiePresse.com" erklärt er, warum es möglich ist, dass Kinderbücher Wirtschaftsbuchpreise gewinnen und weshalb man die Gegenwart besser versteht, wenn man die Geschichte kennt.

2008 gewann mit "Das Geld reicht nie" ein Kinderbuch den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis. Wie erklären Sie sich das?

Ganz einfach: Die Juroren wissen offenbar, wie wichtig es heute ist, dass junge Leute etwas von Wirtschaft verstehen. Kinderbuchautoren müssen sich zudem mehr Mühe geben, den Stoff wirklich verständlich zu vermitteln, deshalb werden deren Bücher oft auch gerne von Erwachsenen gelesen.

Ihre Kinderbücher lesen sich wie Krimis. Wie muss man Kindern Wirtschaftswissen vermitteln? Welche Rolle spielt dabei das Internet?

Es ist immer gut, eine Geschichte zu erzählen, wenn man etwas vermitteln möchte. Wir wissen alle aus eigener Erfahrung, dass wir dann aufmerksamer lesen oder zuhören. Zum Internet: Als ich 1998 begonnen habe, Kinderbücher zu schreiben, steckte das Internet noch in seinen Anfängen. Sollte ich mich nochmals an ein Buch wagen, würde es sicher eine viel größere Rolle spielen.

Versagt die Schule im Bereich der Wirtschaftsbildung? Oder liegt das auch im Bereich der Eigenverantwortung bzw. der Eltern?

Die Verhältnisse in Österreich kenne ich nicht. In Deutschland ist es von Bundesland zu Bundesland verschieden. Bayerns Gymnasien haben zum Beispiel
das Fach "Wirtschaft und Recht", in dem ein guter Lehrer sehr viel machen kann. Aber man sollte auch nicht alles von der Schule erwarten. Ich hatte immer die Vorstellung, dass in den Familien ebenso selbstverständlich über
Wirtschaft gesprochen werden sollte, wie über Fußball, Autos oder Fernseh-Stars.

Was halten Sie davon, dass Banken - die gerne als Sündenböcke gesehen werden - für die Verbesserung des Finanzwissens sorgen sollen? Liegt es in ihrer gesellschaftlichen Verantwortung?

Es kann nicht schaden, wenn die Banken ein wenig Volkshochschule in Sachen Finanzwissen betreiben. Man wuss nur wissen, dass sie dabei immer ein ausgeprägtes Eigeninteresse haben. In einer Brauerei werden Sie auch wenig über die Gefahren des Alkohols erfahren.

Was ist die Aufgabe von Wirtschaftsjournalisten in Zeiten, in denen zusammenhangslose "News-Happen" immer wichtiger werden?

Bei der Süddeutschen Zeitung verstehen wir unsere Aufgabe immer mehr als Analytiker von Wirtschaftsnachrichten. Wenn Sie unseren Wirtschaftsteil heute mit dem von vor zehn oder 15 Jahren vergleichen, werden Sie feststellen, dass die dürre Nachricht weit in den Hintergrund getreten ist, während der Schwerpunkt auf Hintergrundberichten und Kommentaren liegt.

Das Wirtschafts- und Finanzwissen der Menschen ist mangelhaft. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Gute Frage. Meine Vermutung ist, dass zumindest in Europa ein Stück Kultur dahintersteckt. Unter Bildungsbürgern galt es früher nicht als besonders schicklich, sich mit Börse und solchen Dingen zu beschäftigen. Da wurde mehr Wert auf Latein und Griechisch gelegt. So etwas wirkt lange nach. Amerikaner haben im Vergleich dazu mehr Erfahrung im Geldanlegen, was nicht unbedingt heißt, dass das Wissen über volkswirtschaftliche Zusammenhänge in den USA verbreiteter ist als bei uns. Ökonomie ist, trotz aller Kinderbücher, eine schwierige Wissenschaft.

Kaum jemand weiß noch wie Geld, Banken und Kredite entstanden sind. Wie wichtig ist der Faktor Geschichte?


Ich fand immer, dass man die Gegenwart besser vesteht, wenn man die Geschichte kennt. Deshalb habe ich ja meine "Geschichte der Wirtschaft" geschrieben.

Was hat sich nach der Lehman-Pleite verändert? Ist das Interesse daran, Wirtschaft zu verstehen, gestiegen?

Schwer zu sagen. Auf der einen Seite stehen Finanzfragen natürlich im Mittelpunkt des Interesses. Die Menschen haben Angst um ihr Geld, sie fragen sich, ob ihre Ersparnisse bei der Bank noch gut aufgehoben sind.
Andererseits haben sich in der Krise auch viele Klischees über Wirtschaft und Finanzen verfestigt, die das Verständnis für die Zusammenhänge eher verstellen.

John Kenneth Gailbraith sagte: "Ich bin sicher, dass der Börsenkrach von 1929 noch einmal passieren wird. Nur weiß man nicht, wann. Alles was man für einen Zusammenbruch braucht, ist dass die Erinnerung an diesen letzten Wahnsinn schwächer wird". Was kann man tun, damit diese Erinnerung nach der Finanzkrise 2008 nicht schwächer wird?

Wahrscheinlich kann man das nicht verhindern. Menschen sind eben vergesslich. Allerdings ist das momentan unsere kleinstes Problem. Wir müssen die Euro-Krise lösen, und zwar schnell. Insofern ist die "Erinnerung an den Wahnsinn" noch sehr wach.

Welches Buch zur aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise sollte man unbedingt gelesen haben?

Da gibt es eine lange Liste und es ist schwer, eine Auswahl zu treffen. Ich habe "The Big Short" (hier zur Rezension: "Zwei Kerle und ein Bloomberg-Terminal") von Michael Lewis verschlungen, weil der Autor nicht nur viel weiß, sondern auch brillant schreiben kann. Sein neuestes Buch "Boomerang" habe ich mir gerade gekauft. Sehr lesenswert ist auch "Diesmal ist es anders" von Kenneth Rogoff und Carmen Reinhardt. Auch das neue Buch von David Marsh über den Euro ("The Euro: The Battle for the New Global Currency", Anm.) ist sehr wichtig; es ist allerdings, so viel ich weiß, noch nicht auf deutsch erschienen. Wer genau wissen will, was 2008 in der heißen Phase der Krise passierte, sollte Andew Sorkin: "Die Unfehlbaren" (hier zur Rezension: "Als es keinen nächsten Deal mehr gab") lesen. Und, in aller Bescheidenheit, meine "Große Rezession" ist auch eine ganz nützliche Einführung in die Krise und ihre Ursachen.

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