Ein Jahr später: Bawag-Akt bleibt offen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Am Samstag ist es ein Jahr her, dass das Urteil im Bawag-Prozess verkündet wurde. Rechtskräftig sind die Sprüche noch nicht. Bis dahin vergeht ein weiteres Jahr, gut möglich, dass Elsners U-Haft so lange dauert.

Der Samstag, der 4. Juli, stellt einen Markstein in der österreichischen Justizgeschichte dar: An dem Tag ist es genau ein Jahr her, dass die Urteile im Bawag-Prozess verkündet wurden. Allerdings wurden seither nicht einmal die Rechtsmittel (Nichtigkeitsbeschwerden, Berufungen) der neun Verurteilten fertig. Von Rechtskraft der Urteile kann keine Rede sein. Erst Ende 2010, vielleicht gar 2011, werden Helmut Elsner und Co. Gewissheit haben. Bis dahin ist es offen – das größte Strafverfahren, das Österreich je hatte.

16. Juli 2007: Im Grauen Haus hat es fast 30 Grad Celsius. Die Angeklagten schwitzen. Dem Investmentbanker Wolfgang Flöttl rinnt der Schweiß gar in Strömen übers Gesicht. Würde nicht einer der neun auf der Anklagebank leidenden Herren, nämlich Ex-Bawag-Boss Helmut Elsner, als U-Häftling vorgeführt werden, könnte der Prozessauftakt wegen der Hitze verschoben werden. Aber es handelt sich um eine „Haftsache“. Die Justiz muss zügig vorgehen.

Großoffensive der Verteidigung

„Zügig“ ist in diesen Prozessdimensionen – die Schadenssumme zu Lasten der früheren Gewerkschaftsbank wird letztlich mit 1,7Milliarden Euro beziffert – ein relativer Begriff. Lange 117 Prozesstage vergehen, ehe es am 4.Juli 2008 zu neun Schuldsprüchen, verkündet durch Richterin Claudia Bandion-Ortner (sie ist mittlerweile Justizministerin), kommt. Am härtesten trifft es Elsner: neuneinhalb Jahre Haft wegen Untreue, schweren Betrugs und Bilanzfälschung. Flöttl, jener Mann, der das Bawag-Geld durch gewagte Währungsspekulationen verlor, steigt vergleichsweise günstig aus: 30 Monate Haft, zwei Drittel der Strafe werden bedingt verhängt.

Ein halbes Jahr nach der Monsterverhandlung liegen die Urteile, 800 Seiten stark, auch in schriftlicher Form vor. Auf dieser Basis beginnen nun die Verteidiger mit einer heiklen Tätigkeit: Um ihren Mandanten Haftstrafen zu ersparen (Elsners Nachfolger an der Bawag-Spitze, Johann Zwettler, bekam immerhin fünf Jahre Gefängnis), beginnen sie mit ihren Rechtsmitteln. Wegen des riesigen Aktenumfangs ist die Rechtsmittelfrist bis 21. August dieses Jahres ausgedehnt („erstreckt“) worden. Für einige Anwälte, so ist zu erfahren, wird es knapp, bis dahin fertig zu sein. Gelingt die Übung, kann die Causa endlich dem Obersten Gerichtshof vorgelegt werden.

Dieser ist mit dem Fall bereits vertraut – zumindest am Rande, hat doch der nach wie vor in U-Haft sitzende Ex-Bawag-General mittlerweile elf – erfolglose – Anläufe zur Freilassung unternommen. Der OGH-Senat, der darüber jedes Mal in letzter Konsequenz entschied, wird auch über die Rechtsmittel zu urteilen haben. Dafür muss sich aber erst ein „Berichterstatter“, ein Mitglied des fünfköpfigen Richtersenats, in den Fall einlesen. Indessen muss auch der Generalprokurator, eine Art oberster Ankläger, eine Stellungnahme schreiben. Denn schließlich will nicht nur die Verteidigung, dass sich an den Ersturteilen etwas ändert. Auch die Anklage hatte gleich nach Urteilsverkündung bei vier Verurteilten – allen voran bei Flöttl – Rechtsmittel angemeldet.

Legt der OGH-Berichterstatter dem Senatspräsidenten einen Entwurf der endgültigen Entscheidung vor, wird ein Termin für einen Gerichtstag anberaumt. Ende 2010 dürfte es so weit sein. An dem Tag kann viel passieren. Die Schuldsprüche können bestätigt, sie können teilweise bestätigt, teilweise aufgehoben – oder sie können ganz aufgehoben werden. In diesem Fall müsste der gesamte Bawag-Prozess wiederholt werden – aus Sicht vieler Justizvertreter ein absolutes Horrorszenario.

Festhalten an der U-Haft

Gut möglich, dass Elsners U-Haft so lange dauert. Anwalt Elmar Kresbach, der an einer bis 400 Seiten starken Nichtigkeitsbeschwerde arbeitet, sieht das Heranziehen des Haftgrundes Fluchtgefahr als „Rechtsbeugung“. Der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Werner Pleischl, verweist darauf, dass Oberlandesgericht Wien wie OGH erst kürzlich die U-Haft erneut bestätigten. Er sehe „keine Veranlassung, den U-Haft-Antrag zurückzuziehen“. Damit handle er im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2009)


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