Ein ordentlicher „Crash“ gehört dazu

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Einer der ganz großen Vorteile der Marktwirtschaft ist, dass sie Kursstürze überhaupt erst möglich macht. Was man von einer Planwirtschaft ja nicht gerade behaupten kann – dort gibt es nichts abzustürzen.

Die schmucke Pleite der US-Investmentbank Lehman und das dadurch ausgelöste Beben an den Börsen ist wohl so etwas wie ein reißender Bach auf die Mühlen „kritischer“ Experten. Wenn dieser Tage Fachleute in aller Welt mit dem „Oje-mein-lieber-Waldi-ist-gerade-überfahren-worden“-Blick erklären, warum denn alles so kam, wie es kommen musste, dann fällt es uns wie Schuppen von den Augen: Verdammt, die Marktwirtschaft ist doch nicht so toll, wie uns die Apologeten des Kapitalismus immer wieder weiszumachen versuchen.

Allein die heftigen Kursverluste an den Börsen zeigen, wohin das blinde Vertrauen in den Markt führt: in den Abgrund. Hätte die US-Notenbank „Fed“ die American International Group (AIG), die weltweit größte Versicherung, nicht mittels Notkredit über Wasser gehalten, wären Millionen US-Bürger um ihre Altersvorsorge umgefallen. Dort gibt es nämlich keine staatlich gesicherte Rente – woran man wieder sehen könne, dass „der Markt“ für die wirklich wichtigen Dinge des Lebens nicht geeignet ist. Nicht nur das: Nach den Bankenpleiten und Kursstürzen plagt mittlerweile selbst seriöse Blätter wie die „Zeit“ die bange Frage: Ist der „angelsächsische“ Finanzkapitalismus am Ende? (Irgendwie wird man den Eindruck nicht los, als hätte jemand im allerletzten Moment noch das Wörtchen „endlich“ aus der Frage entfernt, um den Lesern die kleine Illusion zu lassen, dass die Antwort nicht längst feststünde).

An die Wand gefahren, Millionen kassiert

Wie auch immer: Die Frage ist nicht unberechtigt. Schließlich kam es in den vergangenen Monaten und Jahren in der Welt des „Finanzkapitalismus“ zu Exzessen, die nie hätten passieren dürfen. Wenn hoch dotierte Bankmanager die von ihnen verwalteten Institute mit komplexen Spekulationen an die Wand fahren, um dann gefeuert und mit Millionenabfertigungen nach Hause geschickt zu werden, dann wird das kaum jemand verstehen. Noch weniger, wenn dann auch noch Steuergeld eingesetzt werden muss, um die von den versagenden und bestens abgefertigten Exmanagern in den Bankrott getriebenen Banken vor dem Kollaps zu retten. Mit dem Argument, dass nur so eine Weltwirtschaftskrise zu verhindern sei.

Einer der zentralen Vorteile der Marktwirtschaft ist freilich, dass sie derartige Fehlentwicklungen überhaupt erst ermöglicht – die Planwirtschaft hat es mit Kursanstiegen ja nicht so, weshalb nichts abstürzen kann. Ein weiterer Vorteil ist, dass Fehler in der Marktwirtschaft schnell zu korrigieren sind. Der Fall „Lehman Brothers“ ist ein gutes Beispiel: Erstmals seit vielen Jahren hat sich ein Staat geweigert, eine vor dem Bankrott stehende Bank mit dem Einsatz von Steuergeldern aufzufangen. Die US-Notenbank „Fed“ und Finanzminister Henry Paulson ließen sie pleitegehen. Die guten Teile werden verkauft, die kaputten liquidiert.

Wenn Aktionäre wie Ex-Lehman-Chef Richard Fuld dadurch ein paar hundert Millionen Dollar verlieren, dann ist das vor allem einmal eines: gerecht. Schwerst unerfreulich ist freilich, dass nicht nur Leute wie Fuld für die Folgen der US-Immobilienkrise finanziell bluten. Sondern die ganze Welt. Auch jene, die ihr Geld in die Eisenstädter Sparkasse gebracht haben, um es in vermeintlich sichere Werte zu stecken.

Gratis-Champagner von der Notenbank

Die Sache ist in höchstem Maße ernst, aber keineswegs hoffnungslos. Im Unterschied zur Weltwirtschaftskrise von 1929 wird heute das Richtige getan. Vor allem in den USA: Banken, die man fallen lassen kann, werden fallen gelassen. In die Bredouille geratene Versicherungen, die Millionen von US-Bürgern eine Pension garantieren, werden vom Staat aufgefangen. Nun soll überhaupt eine vom Staat organisierte Gesellschaft „faule“ Kredite von wankenden Banken aufkaufen. Was möglicherweise noch zu einem kleinen Geschäft für den amerikanischen Staat werden könnte: Viele Banken mussten Außenstände auf einen Cent abschreiben – darunter auch jene, die nicht wertlos sein müssen.

Das Engagement des Staates ist übrigens auch gerecht. Es ist ja nicht so, dass die öffentliche Hand jetzt wieder dem versagenden Markt aus der Patsche hilft. Vielmehr zahlt der Staat die Rechnung für sein eigenes Versagen. Schließlich hat er als Gesetzgeber der Finanzszene den Party-Raum für die rauschenden Feten zur Verfügung gestellt und über die (staatliche) US-Notenbank reichlich Gratis-Champagner angeliefert.

Kaufen, als gäbe es kein Morgen mehr

Wann immer die US-Wirtschaft schwächelte, kappte die „Fed“ die Zinsen und schoss jede Menge Geld in die Märkte. Die Wirtschaft wurde so am Laufen gehalten – sehr zur Freude der Politik. Mit dem Nachteil, dass sich die reichlich vorhandene Liquidität ein immer größeres Risiko suchte.
Die Banken ließen sich nicht lange bitten und räumten selbst finanzschwachen Bürgern ohne Sicherheiten Kredite zum Kauf des Eigenheims ein.

Die Folge war ein noch nie da gewesener Immobilienboom. Auf die nach oben schießenden Häuserpreise wurden den Kreditnehmern immer neue Hypotheken eingeräumt. Die Schuldner ließen es so richtig krachen: Was nicht angenagelt war, wurde gekauft, vom Flachbildschirm über die neue Küche bis zum SUV. Das tat nicht nur der Wirtschaft gut – sondern auch den Banken. Sie scheffelten Milliarden, bis – ja, bis die aberwitzig hohen Immobilienpreise zusammenkrachten, die Häuser wertlos und die Kredite uneinbringlich wurden. Die Banken verloren Milliarden, die dadurch nötig gewordenen Abschreibungen rissen tiefe Löcher in die Bilanzen und sorgen noch heute für ein Kursgemetzel an den Börsen.

Der Schaden, den die Kreditwirtschaft angerichtet hat, ist verheerend. Auch der immaterielle. Die Banker haben es immerhin geschafft, dass sich die Marktwirtschaft im Jahr 2008 selbst vor Post-Kommunisten wie einem Oskar Lafontaine zu rechtfertigen hat. Der Ruf nach dem Staat ist lauter denn je – wobei der „angloamerikanische Finanzkapitalismus“ gerade in der Absicherung der wirklich wichtigen Dinge den Staat um Längen schlägt. Wer einen Blick auf den immer wieder von Krisen geschüttelten Dow Jones wirft, wird nicht lange überlegen, wem er die Sicherung seiner Altersvorsorge anvertraut– dem Staat oder der Börse (siehe Grafik).


franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2008)


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