Chinas Traum von "sauberer" Atomkraft

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Die Volksrepublik plant den Bau von 60 neuen Atommeilern allein in den nächsten zehn Jahren. Mit der neuen Flüssigsalztechnologie will Peking weltweit der führende Anbieter werden.

London/Peking. Als die britische Regierung am vergangenen Donnerstag den Bau des umstrittenen Atomkraftwerks Hinkley Point genehmigte, sorgte sie nicht nur bei Atomgegnern rund um den Globus für Aufsehen. Der erste Atomkraftwerksbau in der EU seit zehn Jahren könnte in den Augen manch eines Energieexperten die Renaissance der Atomkraft bedeuten. Freilich steht Europa da nicht im Vordergrund, zumal nicht nur der Widerstand in vielen Ländern extrem groß ist, sondern auch erneuerbare Energien an Bedeutung gewinnen.

Anders ist das in China, das über die staatliche CGN auch Dritteleigentümer und Geldgeber – und damit finanzieller Retter – von Hinkley Point ist. Die Volksrepublik setzt – ungeachtet von Fukushima – voll auf Kernenergie, die sie als umweltfreundlich erachtet. China möchte sich mit neuen Technologien als Innovationsführer etablieren und mit sicheren und billigen Atommeilern den Weltmarkt erobern. Das Ziel ist – wie in so vielen anderen Bereichen – der größte und führende Anbieter von Kernreaktoren und Komponenten zu werden.

Noch treibt das Land vorerst auch den Bau konventioneller Anlagen voran: 60 neue AKW sollen nach Angaben des Kraftwerksbauers State Nuclear Power Technology Company (SNPTC) in den nächsten zehn Jahren entstehen. Die drei großen Nuklearfirmen SNPTC, CNNC und CGN würden jeweils mindestens zwei neue Meiler pro Jahr bauen, sagte SNPTC-Vizepräsident Zheng Mingguang auf einer Branchenkonferenz in London. So würden 30 neue AKW in den nächsten fünf Jahren entstehen und weitere 30 in den fünf Jahren bis 2026.

Der im März 2016 vom nationalen Volkskongress verabschiedete neue Fünfjahresplan für die Energiewirtschaft unterstreicht die von Zheng vorgezeichnete Entwicklung. Demnach soll der Ausbau der Atomkapazitäten auch über 2016 hinaus beschleunigt werden. Bislang sollte die Leistung in den kommenden fünf Jahren auf 58 Gigawatt steigen, nun sind 88 Gigawatt im Gespräch. Bis 2030 sollen sogar 110 Reaktoren am Netz sein. Der Entwurf sieht bis zum Jahr 2020 zunächst 75 Mrd. Euro an Investitionen für den Atomausbau vor.

Schwimmende Nuklearplattform

Bis Ende 2016 will China darüber hinaus ein schwimmendes AKW entwickeln. Es soll 2019 in Betrieb gehen. Diese Nuklearplattform soll zur Energieversorgung entlegener Küstenregionen eingesetzt werden – und zwar im südchinesischen Meer, was wiederum viel politischen Sprengstoff birgt.

Schon jetzt ist China eine Großmacht in der Atomenergie: 34 Kernkraftwerke arbeiten bereits, womit China weltweit nach den USA an zweiter Stelle liegt. 30 weitere konventionelle AKW sollen demnächst dazukommen, um den enormen Energiehunger zu stillen, der trotz des etwas abgeflachten Wirtschaftswachstums enorm groß ist.

Spannender ist jedoch, was in den Labors – etwa im Shanghai Institute of Applied Physics – ausgetüftelt wird. Da geht es um einen alten Traum der Kernenergie, wie die „Technology Review“ schreibt: Flüssigsalzreaktoren, bei denen die Kernschmelze bereits konstruktionsbedingt deutlich unwahrscheinlicher ist als bei den herkömmlichen AKW. Bei Flüssigsalzreaktoren dient nicht Wasser als Kühlflüssigkeit, sondern eben flüssiges Salz. Solche Reaktoren nützen den Kernbrennstoff besser aus, sodass weniger spaltbares Material nötig ist. Somit kann man kleine modulartige Reaktoren bauen, die bei höheren Temperaturen betrieben werden. Auch teure Druckbehälter (wie der, der in Tschernobyl geborsten ist) sind nicht erforderlich.

Als Brennstoff soll anfangs noch Uran verwendet werden, später jedoch Thorium. Das hätte für China besondere Vorteile, denn das Land besitzt nur geringe Uranvorkommen, dafür aber reichlich Thorium. Zwei Mrd. Renminbi (rund 275 Mio. Euro) hat Peking bereits in die Forschung und Entwicklung solcher Flüssigsalzreaktoren gepumpt. In wenigen Jahren soll ein erster experimenteller Meiler gebaut werden. Und wenn alles nach Plan geht, soll schon in 15 Jahren das weltweit erste kommerzielle Flüssigsalz-AKW in Betrieb gehen. Auf China entfällt gut ein Fünftel des weltweiten Energieverbrauchs, womit das Land an der Spitze steht. Nach wie vor ist Kohle der wichtigste Energielieferant, gefolgt von Erdöl. Die Atomkraft macht derzeit nur rund zwei Prozent aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2016)

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