EU: Tiefe Kluft bei Budgetstreit

(c) EPA (SALVATORE DI NOLFI)
  • Drucken

Die Diskussion um die Haushaltsplanung ist der bisherige Höhepunkt in der Auseinandersetzung zwischen EU-Ländern und Parlament. Auch im Krisenmanagement haben sich die Fronten erhärtet.

Brüssel. „Jedes Land hat eine Marotte“, sagt Daniel Cohn-Bendit und holt richtig aus, um seinem Ärger Luft zu machen. „Das gemeinsame Europa kann nicht die Summe aller nationalen Interessen sein, sondern es kann nur die Überwindung dieser Interessen bedeuten.“ Der grüne EU-Abgeordnete sieht sowohl den gemeinsamen Haushaltsrahmen für die Jahre 2014 bis 2020 als auch das Krisenmanagement durch überbordende nationale Interventionen gefährdet.

Er ist nicht der Einzige im Europaparlament. Der Streit um das künftige EU-Budget zeigt, wie tief die Kluft zwischen EU-Abgeordneten und den nationalen Regierungen bereits geworden ist. Die Parlamentarier der größten Fraktionen drängen auf ausreichende Ausgaben für gemeinsame Bildungsprogramme, für Forschung und Entwicklung und weitere Wachstumsimpulse. Die Regierungen, die sich mehrheitlich im Fiskalpakt zu einem eisernen Sparkurs verpflichtet haben, wollen den Gemeinschaftshaushalt hingegen so klein wie möglich halten. Nachdem sich der EU-Rat (Regierungsvertreter) mit dem EU-Parlament in der Nacht auf Mittwoch nicht einmal mehr über das Budget für 2013 einigen konnte, steuert der Konflikt auf einen Höhepunkt zu. Kommt es zu keiner raschen Einigung, müssen EU-Programme wie Erasmus zurückgefahren werden. „Die EU hat in Wahrheit kein Budget“, sagt ÖVP-Europaabgeordneter Othmar Karas im Gespräch mit österreichischen Journalisten. Er argumentiert, dass 94 Prozent der Mitgliedsbeiträge wieder an die Mitgliedstaaten zurückfließen. „Der Rest geht für Verwaltung und Übersetzungskosten auf.“ Weil für wichtige Entscheidungen Einstimmigkeit unter den 27 Regierungen notwendig ist, sei kaum noch eine vernünftige Politik möglich, kritisiert Karas. „Wir erleben deshalb eine Schieflage sowohl bei den Kompetenzen als auch beim Budget.“ Als Schuldige definieren die Abgeordneten ihre eigenen Regierungen. „Mit Vetodrohungen kommen wir nicht weiter.“

Auch im Krisenmanagement haben sich die Fronten zwischen dem EU-Parlament und den Regierungen verhärtet. Ein Hauptgrund dafür ist, dass die Euroländer dem Europaparlament bei den neuen Rettungskonstruktionen wie dem Fiskalpakt oder dem ESM keine Mitsprache oder Kontrollmöglichkeit eingeräumt haben. Weil der EU-Vertrag für solche Extremsituationen keine ausreichende Basis bietet, muss jede Entscheidung unter den Mitgliedstaaten einstimmig fallen. Cohn-Bendit fordert einen neuen Konvent, der ab 2014 eine Vertragsreform vorbereitet. „Der Nationalismus nimmt zu“, ist SPÖ-Europaabgeordneter Hannes Swoboda überzeugt. „Jede Regierung schaut nur noch darauf, was sie selbst herausbekommt, keine schaut darauf, was dem gemeinsamen Europa am besten hilft.“ Österreich sei da leider keine Ausnahme.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.