Trotz Kapitalverkehrskontrollen und gesperrter Banken ist mindestens eine Milliarde Euro aus Zypern abgezogen worden – auch getarnt als „humanitäre Gelder“.
Wien/Jil. Im Zuge der dramatischen Verhandlungen über die Zwangsenteignung von Kundengeldern haben reiche Anleger und zyprische Politiker offenbar hunderte Millionen Euro abgezogen und sozusagen „in Sicherheit“ gebracht.
Und zwar vorbei an den bestehenden Kapitalverkehrskontrollen und trotz geschlossener Banken. Auch vor den ersten Bankenschließungen soll es Kapitalflucht gegeben haben – was auf Selbstschutzmaßnahmen vorab informierter Politiker, Beamter und deren Familien schließen lässt. Das berichten die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“) und die Nachrichtenagentur Reuters.
Target-System zeigt Abfluss
Laut Reuters seien zuletzt Gelder sogar unter dem Vorwand „humanitärer Hilfe“ abgezogen worden – die Geldbesitzer scheinen sich dabei der verschiedenen Ausnahmeregelungen bedient zu haben. Die „FAZ“ beruft sich auf Quellen in Frankfurter Bankenkreisen und Daten aus dem Zentralbanken-Zahlungssystem „Target“. Dieses hätte in der vergangenen Woche einen täglichen Kapitalabfluss aus Zypern von 100 bis 200 Mio. Euro verzeichnet. In den Tagen nachdem das Parlament die Pläne der Regierung zur Beteiligung der Kleinanleger mit Vermögen von unter 100.000 Euro hat scheitern lassen, hätte sich dieser Betrag noch verdoppelt.
Niemand kann genau sagen, wie viel Geld abgezogen wurde – aber allein die Bewegungen im Target-System lassen auf eine Summe von mindestens einer Milliarde schließen – und zwar innerhalb der Eurozone. Schon vor der Bekanntgabe des endgültigen Plans (Anleger mit Vermögen über 100.000 Euro sollen mit zehn bis möglicherweise 50 Prozent „besteuert“ werden – Kleinanleger bleiben aber verschont) gab es Berichte über vorab informierte zyprische Politiker, die ihr Geld ins Ausland geschafft haben.
Eine bedeutende Frage bleibt bis dato ungeklärt. Denn neben den Abflüssen innerhalb der Eurozone (die vermutlich in Richtung der „sicheren Häfen“ Deutschland und auch Österreich gegangen sind) gab es wohl auch Kapital flucht aus der Eurozone heraus. In London unterhalten die zwei größten zyprischen Banken Filialen, die in der vergangenen Woche nicht geschlossen hatten. Überweisungen von Zypern in die Londoner Filiale unterlagen aber auch den Kapitalverkehrskontrollen.
Ausnahmen für Flugzeugbenzin
Ob und wie über diese Filialen Geld abgezogen wurde, ist unklar. Dass sich Anleger einiger Tricks bedient haben, ihr Geld aus der „Gefahrenzone Zypern“ zu schaffen, ist aber offensichtlich. Während die Inselbewohner in langen Schlangen standen, um streng limitierte Abhebungen an Bankomaten machen zu können, haben sich laut Reuters Großanleger einiger Ausnahmen bedient, um ihr Geld aus dem Land zu bekommen. So waren Geldbewegungen für Unternehmen, die Kreditraten zurückzuzahlen hatten, erlaubt – um sie vor dem Bankrott zu bewahren. Auch Überweisungen für Medikamente, Flugzeugbenzin und „humanitäre Produkte“ waren – und sind – weiterhin erlaubt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2013)