Vermögensvergleich: Sind die Deutschen wirklich arm?

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Laut der EZB zählen Deutschland und Österreich zu den Schlusslichtern der Union. Hierzulande ist die hohe Steuerquote dafür mitverantwortlich.

Brüssel. Für die Statistiker der Europäischen Zentralbank ist es ein seltenes Vergnügen, das Ergebnis ihrer Arbeit auf den Titelseiten aller europäischen Zeitungen bewundern zu können. Dass dieses Vergnügen in der Frankfurter EZB-Zentrale am gestrigen Mittwoch nicht ungetrübt war, hängt wohl mit der politischen Sprengkraft des soeben publizierten Vergleichs der Vermögensverhältnisse in der Eurozone ab. Denn gemäß der im Zeitraum von 2008 bis 2011 durchgeführten Untersuchung sind die vermeintlich reichen Nordeuropäer in Wirklichkeit ärmer als ihre südeuropäischen Nachbarn. „Die Presse“ berichtete darüber erstmals im März.

Seit Monaten hielt sich das hartnäckige Gerücht, die EZB halte die Studie unter Verschluss und wolle sie erst nach der Rettung Zyperns publizieren, um Populisten keine Munition zu liefern. Aus Frankfurt war als Antwort darauf zu hören, dass die Kalkulationen extrem aufwendig und daher zeitintensiv seien. Doch der Verdacht lässt sich angesichts des wohl brisantesten Ergebnisses der Studie nicht von der Hand weisen: Mit 51.400 Euro macht das Medianeinkommen eines deutschen Haushalts gerade einmal ein Fünftel des zypriotischen Betrages aus – dabei sollen die deutschen Steuerzahler die Hauptlast des internationalen Hilfsprogramms für die überschuldete Mittelmeerinsel tragen. Auch das österreichische Nettovermögen liegt mit 76.400 Euro weit hinter den Spitzenreitern Luxemburg (397.800 Euro) und Zypern (266.900 Euro), aber auch deutlich hinter Spanien (182.700 Euro), Italien (173.500 Euro), Frankreich (115.800 Euro) oder Griechenland (101.900 Euro). Stimmen die Zahlen, dann würde der arme Norden der Union dem reichen Süden aus der Patsche helfen.

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Vernünftige Einwände...

Dass die Ergebnisse derart grotesk ins Gegenteil der gefühlten europäischen Vermögensverhältnisse verkehrt sind, lässt darauf schließen, dass sie nicht gänzlich valid sind. Und in der Tat gibt es eine Vielzahl von vernünftigen Einwänden gegen den Befund. Zunächst einmal gilt es zu berücksichtigen, dass die südeuropäischen Haushalte größer (und damit zwangsläufig finanzkräftiger) sind. Während in Italien und Spanien im Schnitt 2,53 bzw. 2,68 Personen unter einem Dach wohnen, sind es in Deutschland und Österreich 2,04 bzw. 2,13 Köpfe.

Ein weiterer Faktor ist der Besitz von Immobilien, der im Süden weiter verbreitet ist als im Norden – und das Eigenheim ist der wichtigste Beitrag zur Vermögensbildung. Innerhalb der Eurozone wohnen nur in Österreich und Deutschland weniger als die Hälfte der Bürger in den eigenen vier Wänden, was mit der Verfügbarkeit von staatlich geförderten Mietwohnungen begründet wird – wer langfristig günstig mieten kann, muss demnach nicht kaufen.

...und ihre Schönheitsfehler

Skeptiker wiesen gestern ebenfalls darauf hin, dass die Studienautoren die Ausgestaltung der Sozialsysteme nicht mitberücksichtigt haben. Vereinfacht formuliert: Österreicher und Deutsche haben weniger Eigentum, denn sie zahlen höhere Steuern und Sozialversicherungsbeiträge als anderswo. Dafür sind sie aber besser gegen Krankheit und Altersarmut geschützt. In der Tat: Wenn man dem Ergebnis der EZB-Studie den jährlichen EU-Bericht zur Lage der europäischen Steuern gegenüberstellt, bemerkt man rasch, dass die Beiträge der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung in Deutschland und Österreich im Spitzenfeld liegen (siehe Grafik).

Dieses Argument hat allerdings zwei Schönheitsfehler. Erstens sind Italiener und Spanier ebenfalls versichert, und zweitens sind die Pensionssysteme in Österreich und Deutschland nach dem Umlageprinzip organisiert. Die Bürger sind also keine Eigentümer ihrer Altersvorsorge, sondern sie haben lediglich einen Anspruch auf Versicherungsleistungen. Und der Umfang dieser Leistungen kann sich je nach demografischer und budgetärer Lage ändern – etwa durch eine Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters.

Doch auch die These, wonach die geringe Verbreitung von Immobilieneigentum ein Grund für die niedrigen Vermögen ist, hat eine Lücke: Trifft sie nämlich zu, dann müsste jenes Geld, das sich die Österreicher dank der Errungenschaft des sozialen Wohnbaus ersparen, anderswo statistisch erfasst sein – sei es als Schmuck, Autos oder Sparguthaben. Dem ist aber nicht so, und die EU-Steuerstatistik bietet dafür zumindest ansatzweise eine Erklärung.

Was die Entwicklung der Steuern auf Arbeit im Zeitraum von 1995 bis 2010 anbelangt, ist die Eurozone in drei Gruppen geteilt. Erstens in Hochsteuerländer wie Finnland, Deutschland oder die Niederlande, wo die Last in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten sukzessive gesunken ist. Zweitens in Länder mit niedriger Steuerlast wie beispielsweise Portugal und Griechenland, wo sie gestiegen ist. Und drittens in Länder mit einer Steuerquote, die hoch war und weiter gestiegen ist. Zu dieser Gruppe zählen die aktuellen ökonomischen Problemkinder Italien und Frankreich – sowie Österreich.

Auf einen Blick

Das deutsche Medianvermögen liegt laut EZB bei gerade einmal 51.400 Euro. Beim Median handelt es sich um die exakte Mitte der Skala: 50 Prozent der Haushalte besitzen mehr, 50 Prozent weniger. Anders das Durchschnittsvermögen: Hier wird der gesamte Privatbesitz durch die Zahl der Köpfe dividiert. Je größer die Differenz zwischen Median und Durchschnitt, desto ungleicher die Vermögensverteilung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2013)

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