Jeder spricht über sie, nur sie sprechen nicht mit jedem: die drei großen Agenturen S&P, Moody's und Fitch. Warum es sie gibt, wie sie arbeiten und wer sie bezahlt.
Es sind nicht viel mehr als ein Dutzend Analysten, deren Telefone Freitagabend vermutlich im Sekundentakt geläutet haben. Neun Euroländer hat die Agentur Standard&Poor's (S&P) herabgestuft und zu jedem der betroffenen Staaten einen kurzen Bericht ausgesendet. Am Ende dieser Einschätzungen finden sich die Namen der bearbeitenden Analysten mitsamt deren Telefonnummer. Die Senkung der Bonität Österreichs verantworten demnach zwei Männer, einer sitzt in Frankfurt, der andere in London.
Womit auch gleich ein Mythos, nämlich jener der unübersichtlichen Strukturen von Ratingagenturen, verbunden mit fehlender Transparenz, zumindest zum Teil widerlegt ist. Alle drei großen Anbieter – Standard& Poor's, Moody's und Fitch – geben stets bekannt, welche Analysten welche Länder und Firmen bewerten.
Analysten in der Öffentlichkeit. Die Schiedsrichter reden zwar nicht mit jedem und heben unter den angeführten Telefonnummern nicht immer selbst ab. Doch wenn sich große Investoren für Details interessieren, stehen die Experten zur Verfügung – und nach wichtigen Entscheidungen treten sie auch stets an die Öffentlichkeit. David Beers etwa erlangte vergangenen Sommer weltweite Berühmtheit. Der Analyst von Standard &Poor's war für die Herabstufung der USA hauptverantwortlich und wurde von einem TV-Sender zum nächsten gereicht. Moritz Kraemer wiederum, der für die Bewertung Österreichs zeichnet, hielt sowohl im Dezember wie auch am gestrigen Samstag eine öffentlich zugängliche Telefonkonferenz ab – in der er unter anderem erklärte, dass der „Vertrauensverlust in die europäische Politik“ der Hauptgrund für die Herabstufungen war.
Als erste der großen Agenturen wurde Standard & Poor's gegen Ende des 19. Jahrhunderts gegründet. Henry Varnum Poor bewertete die Bonität amerikanischer Eisenbahnfirmen, die Investoren vertrauten darauf und ersparten sich viel Geld, das sie zuvor in Unternehmen steckten, die oftmals schon kurz darauf bankrottgingen. John Moody und John Fitch übernahmen das Geschäftsmodell nach der Jahrhundertwende und gründeten ebenso wie Henry V. Poor in New York ihre eigenen Ratingagenturen – die drei großen Spieler, die auch heute noch den Markt dominieren, waren geboren.
Demnach stimmt es zwar, dass die drei wichtigsten Agenturen ihren Ursprung in den USA haben. Wenn aber beispielsweise Bundeskanzler Werner Faymann auf die „politischen Motive der drei amerikanischen Agenturen“ verweist, liegt er trotzdem falsch. Fitch gehört zu 60 Prozent einem französischen Geschäftsmann. Moody's und Standard & Poor's sind zwar in amerikanischer Hand – was die letztgenannte Agentur trotzdem nicht davon abhielt, die weltgrößte Volkswirtschaft vergangenes Jahr herabzustufen und dafür die Politik verantwortlich zu machen.
Österreich bezahlt die Bewerter. Ihr Geld – Moody's beispielsweise machte 2010 mehr als 500 Millionen Dollar Gewinn – verdienen die Bewerter, indem sie ihre Analysen gegen Bezahlung erstellen. Länderratings bestellen in der Regel die Staaten selbst. Der Politik wäre es unmöglich, hohe Schulden zu machen, ohne ihre Kreditwürdigkeit von einer großen Agentur bewerten zu lassen. Kaum ein Investor wäre bereit, Ländern ohne Rating Geld zu leihen. Es sind also Schuldner wie Österreich, die am meisten von den Agenturen profitieren. Machte das Land keine Schulden, wäre es auch nicht von Standard & Poor's, Moody's und Fitch abhängig.
Im Vorjahr bezahlte Österreich für die Ratings in etwa 500.000 Euro. Dafür reisen die Analysten zweimal pro Jahr nach Wien, um sich ein Bild zu machen. Sie sprechen mit Experten des Finanzministeriums, der Notenbank, den Wirtschaftsforschern und mehreren Banken. Dem Vernehmen nach sind sie freundlich, aber bestimmt in der Sache. Und ihren Kaffee, den bezahlen sie stets selbst.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2012)