Der Bund soll die Schuldenbremse bereits nächstes Jahr erfüllen. Schlechter stehen Länder und Kommunen da. Sie ließen sich ihre Zustimmung zum Fiskalpakt abkaufen – mit Geld, Haftungen und einem nationalen Pendant zu Eurobonds.
Berlin. Die eiserne Sparkanzlerin: Das ist das medial vermittelte Bild von Angela Merkel. Sie wolle dem Rest des Kontinents eine rigorose Haushaltsdisziplin aufzwingen, die in ihrer Heimat längst gepflogen wird. Doch die deutsche Wirklichkeit sieht anders aus: Die Schulden der öffentlichen Hand steigen weiter, aktuell auf 2042 Milliarden Euro. In Bezug auf die Wirtschaftsleistung sind das etwa 78 Prozent, ein gefährlich hoher Wert. Schweizer, Finnen und Niederländer schaffen eine weit niedrigere Schuldenquote.
Auch heuer, in einem Jahr mit üppig sprudelnden Steuereinnahmen und historisch niedrigen Zinsen, steht eine Neuverschuldung von 32 Mrd. Euro im Plan – fast doppelt so viel wie im Jahr zuvor. Teuer zu stehen kommen dabei vor allem die beiden Tranchen für die Kapitalausstattung des neuen Rettungsschirms ESM, die knapp zehn Mrd. Euro ausmachen. Ein üppiger Lohnabschluss für den öffentlichen Dienst tut das Übrige.
Für die Zukunft aber drückt Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) aufs Tempo. Die Schuldenbremse soll im Bund nun schon 2013 greifen. Laut Haushaltsentwurf, der am Mittwoch im Kabinett zu beschließen ist, wird die Obergrenze für das strukturelle Defizit von 0,35 Prozent des BIP bereits im kommenden Jahr eingehalten.
2016 soll dann einen historischen Wendepunkt markieren: Deutschland nimmt erstmals seit 1969 keine neuen Schulden auf und setzt einen (geringen) Überschuss ein, um unterm Strich Schulden zurückzuzahlen. Ab dann soll der Schuldenberg jedes Jahr ein Stück abgebaut werden.
Dieser berauschenden Vision stehen die Länder und Kommunen entgegen, die zusammen 37 Prozent der gesamtstaatlichen Schulden verantworten. Während die Verbindlichkeiten des Bundes im Vorjahr nur um ein Prozent stiegen, waren es in den Stufen darunter vier bis fünf Prozent. Vielerorts fehlt das Geld an allen Ecken und Enden.
Anleihen im „Huckepack“
Am Sonntag sahen die Regionalkaiser ihre Stunde gekommen: Wie die rote und grüne Opposition im Bund wollten auch sie sich ihre Zustimmung zum geplanten Fiskalpakt möglichst teuer abkaufen lassen. Denn dieser nimmt sie früher und stärker in die Pflicht als die nationale Schuldenbremse und gefährdet so ihre immer noch recht generösen Planungen.
Ließ sich Schäuble davon beeindrucken? Konkret und kurzfristig wird nur etwa eine Milliarde Euro auf den Bund umgeschultert, für Kindertagesstätten und Sozialtransfers. Bei geforderten vier Milliarden für die Behindertenintegration wurden die Kommunen auf die Zeit nach der nächsten Wahl vertröstet.
Allerdings übernimmt der Bund die Haftung für allfällige Strafzahlungen, zu denen der Fiskalpakt führen kann. Und er stimmt „Huckepack“-Anleihen zu. Dabei hängen sich die Länder an Bundesanleihen an, um ihre Zinskosten zu drücken.
Dieses Modell erinnert freilich fatal an jene Eurobonds, die Deutschland im EU-Verbund ja vehement ablehnt – zumindest aus heutiger Sicht, ohne zusätzliche Kontroll- und Durchgriffsrechte Brüssels. Die Regierung ist denn auch eifrig bemüht, Unterschiede zu betonen: Die Länder würden bei diesem Instrument weiter für ihren Teil haften. Und dank Schuldenbremse gebe es innerhalb Deutschlands bereits jene einheitliche Fiskalpolitik, die für die Eurozone erst eingefordert wird.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2012)