Nadelöhr der Energiewende: Windrad sucht Anschluss

(c) AP (Joerg Sarbach)
  • Drucken

Viele Windräder in der Nordsee liefern keinen Strom, da Siemens die Anbindung ans Land nicht pünktlich geschafft hat. Ein Besuch im Nadelöhr der Energiewende.


Stetig drehen sich die Windräder vor der deutschen Nordseeküste. Mehr als gigantische Vogelscheuchen aus Stahl sind manche von ihnen bis jetzt aber nicht. Denn noch hat Siemens die versprochenen Steckdosen für das Meer nicht geliefert, die nötig sind, um den Strom auch ans Festland zu bringen.

„Wir haben einfach alles unterschätzt“, sagt Tim Dawidowsky. Der 45-jährige Siemens-Ingenieur steht inmitten der Konverterplattform „Helwin 1“ in der Nordic-Yard-Werft in Wismar. Stahlkolosse wie dieser sollen helfen, den Wechselstrom, den die Windmühlen auf hoher See erzeugen, in Gleichstrom umwandeln, damit dieser mit geringen Verlusten an Land geliefert werden kann. Dieser Tage hätte mit „Helwin 1“ die erste solche Meeres-Steckdose 85 Kilometer vor der Küste von Helgoland in den Meeresboden gerammt werden sollen. Stattdessen sitzt das Ungetüm immer noch im Trockendock und wird von 700 Werftarbeitern bearbeitet. Mindestens ein Jahr verspätet wird Siemens den Schlüssel für die Anbindung ans deutsche Stromnetz liefern. Eine halbe Milliarde Euro Verlust hat das Unternehmen im ersten Halbjahr dafür bereits verbucht.

Projekt-Profi. Dawidowsky soll nun die Scherben aufräumen. Erst vor vier Tagen hat er die Leitung der neu geschaffenen Siemens-Geschäftseinheit Übertragungslösungen übernommen. Und Lösungen sind vom Projekt-Profi, der zuletzt für die Linzer Siemens-Tochter VAI Stahlwerke in der ganzen Welt baute, auch gefragt. Er ist schließlich verantwortlich dafür, dass das Geschäft mit der Offshore-Windkraft für Siemens nicht zum Debakel wird – und die deutsche Energiewende am Leben bleibt.

Der Ausbau der Windräder in der Nord- und Ostsee ist das Herzstück des Plans der deutschen Regierung, sich künftig mit Energie aus erneuerbaren Quellen zu versorgen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der stete Wind auf hoher See lässt die Windräder bis zu 4000 Stunden im Jahr auf vollen Touren arbeiten. An Land schaffen sie die Hälfte, ein Atomkraftwerk auch nur knapp doppelt so viel. In acht Jahren sollen 8000 Windräder vor der deutschen Küste stehen. Heute sind es gerade erst 152. Und diese drehen sich mangels Netzanschluss bisweilen umsonst.

Er habe seinen Ingenieuren zu viel zugetraut, räumte Siemens-Chef Peter Löscher zuletzt ein. In der Sorge, ein Riesengeschäft zu verpassen, riss der Münchener Konzern gleich die Aufträge für vier der fußballfeldgroßen Würfel an sich. Zu viel auf einmal, wie sich herausstellen sollte. Denn Siemens beherrscht zwar die HGÜ-Technik, mit der die 15.000 Tonnen schweren Ungetüme Wechselstrom in Gleichstrom umwandeln – und so den Transport über hundert Kilometer lange Seekabel erst möglich machen.
Aber das Unternehmen hat sich im Vorfeld ziemlich verrechnet. „Am Anfang eines Projekts merkt man oft gar nicht, wenn etwas schief läuft“, sagt Dawidowsky. Erst als der Bau beginnen sollte, wurden die Fehlkalkulationen langsam sichtbar: Die Plattformen erforderten mehr Material, mehr und anders geschulte Mitarbeiter, mehr Stunden in den deutschen Amtsstuben als anfangs gedacht.

Zu laut für Schweinswale. Dabei ist Siemens kein Neuling auf hoher See. Das Unternehmen hat bereits Konverter für Offshore-Windparks gebaut. Doch dieser Auftrag sprengt alle Dimensionen: Wo die Meeres-Steckdosen stehen sollen, ist das Wasser doppelt so tief wie bei bisherigen Projekten. Sie müssen die doppelte Leistung schaffen und wiegen fünfmal mehr als ihre Vorgänger.

Ein Teil des Problems rührt daher, dass sich Deutschland entschieden hat, die Offshore-Windparks aus der Sichtweite der Bürger zu verbannen. Anders als in Großbritannien stehen die Windmühlen meist über 80 Kilometer von der Küste entfernt. Dafür erspart sich der Konzern im Gegenzug Probleme mit Anrainern, könnte man meinen. Doch weit gefehlt.

Die rund 50.000 Schweinswale, die hier leben, bestimmen weitgehend, wann und wie Siemens die Konverterplattformen installieren darf. Zur Paarungszeit der zwei Meter langen Meeressäuger geht gar nichts. Und beim Verankern der Plattformen darf ein Geräuschpegel von 165 Dezibel auf 750 Meter Entfernung nicht überschritten werden, um die Schweinswale nicht zu stören. Damit das gewährleistet ist, setzt Siemens um jeden Pfahl am Meeresboden noch ein Stahlrohr und pumpt das Wasser aus dem Zwischenraum, bevor es den Pfahl in den Boden rammt. Jeder dieser „Schalldämpfer aus Luft“ kostet etliche Millionen Euro. „Verwenden können Sie so ein Ding genau einmal“, klagt Dawidowsky. Zumindest solange es noch keine Industriestandards für Konverter gibt. Jede der vier Plattformen, die Siemens baut, ist ein Einzelstück. Keine von ihnen wird Gewinn abwerfen. Ein Drittel des Auftragswerts von 1,4 Milliarden Euro hat das Unternehmen schon in den Wind geschrieben.

Kabel und Arbeiter fehlen. Das ist nicht nur ein Rückschlag für Siemens. Der gesamte Umbau der Energielandschaft wird dadurch gebremst. Es fehlt an Erfahrung, an Tiefseekabeln und nicht zuletzt an Ingenieuren, die richtig ausgebildet sind. Siemens verdoppelte seine Mannschaft für diese Projekte zuletzt zwar auf 300 Mitarbeiter. Wie knapp Fachkräfte in der Branche aber gesät sind, zeigt das Schicksal von Wilfried Breuer. Der Deutsche war bei Siemens bis vor Kurzem verantwortlich für den Stromanschluss der Offshore-Windparks. Nach dem Debakel musste er gehen. Lange war der erfahrene Manager aber nicht auf Jobsuche. Breuer wechselte einfach die Seiten und heuerte beim Netzbetreiber Tennet an, der die Konverter bei Siemens bestellt hat.

Die Energiewende stockt. „Ich freue mich, weiter am Projekt arbeiten zu können“, sagt Breuer bei einem Rundgang auf „seiner“ alten Plattform. „Ich bin Überzeugungstäter geblieben.“ Sorgenlos ist er auch bei Tennet nicht. Das dänische Unternehmen hat sich verpflichtet, alle Windparks ans deutsche Netz anzubinden. 30 Monate gibt die Politik den Unternehmen Zeit, um einen Windpark ans Netz anzuschließen. In der Realität dauert es fast doppelt so lang. Wer für die Verzögerung nun geradestehen muss, ist nicht geklärt.
„Man kann die Grenzen der Physik nicht überschreiten“, sagt Dawidowsky, und auch Breuer bremst die Euphorie der Politiker. Es brauche einen koordinierten Ausbau statt zügellosem „Anschluss auf Zuruf“. Es habe keinen Sinn, die Windenergie am Meer weiter auf Hochdruck auszubauen, solange es keine Leitungen gibt, um den Strom aus dem Norden zu den Verbrauchern im Süden zu bringen. Deutschland fehlen aber nicht nur Leitungen, es fehlen Speicher für Tage mit zu viel Strom und Gaskraftwerke im Süden, die einspringen, wenn Wind und Sonne einmal auslassen. Die Energiewende stockt, und das nicht nur auf hoher See.

Nächsten Sommer soll zumindest ein Teil des Problems gelöst werden. Geht alles gut, wird „Helwin 1“ vor Helgoland verankert. Wenn nicht, können sich die Schweinswale noch einmal über einen ruhigen Sommer freuen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.