Leonard Mlodinow: „Manchmal ist es sinnvoll, nicht objektiv zu sein“

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Autor Leonard Mlodinow über Selbstüberschätzung und selektive Erinnerung – und deren Einfluss auf Entscheidungen.

Die Presse: Sie sagen, dass wir viel stärker von unserem Unterbewusstsein mitbestimmt werden, als wir denken. Was heißt das für die Entscheidungen, die wir täglich treffen?

Leonard Mlodinow: Das heißt, dass sie nicht so objektiv sind, wie wir denken. In einem Supermarkt in Großbritannien wurden deutscher und französischer Wein verkauft. Forscher ließen sehr leise im Hintergrund einmal deutsche, einmal französische Musik laufen. Die Menschen kauften zu zwei Dritteln deutschen Wein, wenn deutsche Musik lief, und zu zwei Dritteln französischen, wenn französische Musik gespielt wurde. Dabei sind Menschen gerade bei Wein sehr leidenschaftlich und wissen ganz genau, was sie mögen und nicht mögen. Als sie beim Ausgang darauf angesprochen wurden, konnten sich die meisten nicht einmal an irgendeine Musik erinnern.

Das Unterbewusstsein erklärt laut Ihren Forschungen auch, warum Manager für Firmenzukäufe oft mehr bezahlen, als sie wert sind.

Ja, sie schauen sich eine andere Firma und deren Daten an und sagen, ich könnte viel mehr aus diesem Unternehmen machen, weil ich ein besserer Manager bin, ein besserer Investor. Also gehen sie davon aus, dass sich die Firma weitaus besser entwickeln wird, und sind bereit, mehr dafür zu bezahlen. Dann stellt sich die Realität ein, und sie finden heraus, dass sie durchschnittlich sind und sich die Firma durchschnittlich entwickelt. Und daraus ergibt sich ein Unterschied zwischen dem, was sie hätten zahlen sollen, und dem, was sie bezahlt haben. Sie haben einen zu rosigen Blick auf sich selbst.

Überschätzen sich die Menschen grundsätzlich selbst?

Ja, das haben Versuche gezeigt. Einmal wurden Schüler gefragt, ob sie über dem Durchschnitt sind. 100 Prozent sagten Ja. Dann wurden Professoren gefragt, ob ihre Forschung überdurchschnittlich gut ist. 94 Prozent sagten Ja. Ärzte wurden gefragt, ob sie mit ihren Diagnosen richtig lagen, und 88 Prozent sagten Ja. Während in Wirklichkeit nur 20 Prozent richtig waren. 40 Prozent der CEOs zahlten zu viel für ihre Firmen, verglichen mit der tatsächlichen Performance. Unser selektives Gedächtnis zeichnet das Bild rosiger, als es tatsächlich ist.

Welche Schlüsse kann man daraus für das Geschäftsleben ziehen?

Man muss vorsichtig sein mit dem eigenen Gedächtnis und sich bewusst sein, dass man sich selektiv an Dinge erinnert. Wir erinnern uns an die Vergangenheit auf eine Art, die uns dabei unterstützt, das zu glauben, was wir über die Welt denken möchten. Manchmal ist es sogar sinnvoll, nicht objektiv zu sein. Wenn Sie eine Start-up-Firma haben und die Chancen stehen schlecht, hätten sie wahrscheinlich nicht die Stärke und den Mut weiterzumachen, wenn Sie eine realistische Sicht auf die Dinge hätten. Aber man sollte im Kopf behalten, dass unsere Erinnerung keine Videoaufnahme ist, sondern ein Bild, das unser Gehirn kreiert.

Zur Person

Leonard Mlodinow (58) ist ein
US-amerikanischer Physiker und
Autor. In seinen Büchern beschäftigt er sich damit, wie Zufälle und das Unterbewusstsein menschliches Verhalten beeinflussen. Leonard Mlodinow war Sprecher auf der Re.Comm in
Kitzbühel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2012)

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