Großprojekte: Wenn Politiker zur Schaufel greifen

Grossprojekte Wenn Politiker Schaufel
Grossprojekte Wenn Politiker Schaufel(c) Dapd (Klaus Dietmar Gabbert)
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Der Flughafen Berlin ist in Deutschland kein Einzelfall. Explodierende Kosten, endlose Bauzeit, Pfusch: Die Großprojekte der öffentlichen Hand laufen oft aus dem Ruder. Woran krankt es?

Im Spätsommer 2006 war Berlin in Feierlaune. Ein Bürgermeister, ein Landeschef und ein Verkehrsminister stießen beherzt ihre Spaten in den märkischen Sand, draußen in Schönfeld, wo schon bald der neue Hauptstadtflughafen stehen sollte. Dann begossen sie frohgemut einen Bagger mit Sekt.

Ursprünglich hätten zwei Baufirmen den Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) errichten und betreiben sollen. Die ersten Kostenschätzungen beliefen sich alles in allem auf vier Milliarden Euro. Aber den Politikern war das viel zu teuer. Sie fertigten das Konsortium großzügig mit 40 Mio. ab und übernahmen selbst die Regie. Im Herbst 2011 sollte alles fertig sein, zum halben Preis. Mit stolzgeschwellter Brust versprach Stadtvater Wowereit beim Spatenstich: „Wir werden beweisen, dass drei öffentliche Eigentümer so ein Projekt bauen können“.

Bewiesen haben sie, dass sie es nicht können – das aber eindrucksvoll. Am Montag wurde bekannt, dass auch der schon zum vierten Mal verschobene Eröffnungstermin im Oktober 2013 nicht zu halten ist. Es wird bis nächstes, übernächstes Jahr, vielleicht auch noch viel länger dauern. Die Arbeiten stehen still, zu groß ist das Planungschaos, als dass man weiter werken könnte. Und die Kosten? Sie werden weit über den vier Milliarden liegen, die Hochtief einst kalkulierte. Wowereit gab diese Woche den Aufsichtsratsvorsitz an seinen bisherigen Vize ab, Brandenburgs Ministerpräsidenten Platzeck. Die Politik behält das Sagen. Auch wenn sie nicht mehr weiter weiß.

Kratzer am Image. Der „Problem-BER“ ist bei Weitem nicht das einzige Großprojekt der öffentlichen Hand, das in Deutschland spektakulär aus dem Ruder läuft. Ob Elbphilharmonie, Nürburgring oder Stuttgart 21: Stets klingt das Sündenregister ähnlich (siehe rechts). Die Liste ließe sich noch um einiges verlängern: um den Leipziger City-Tunnel, den Containerhafen Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven, die Renovierung der Staatsoper und den Neubau für den Bundesnachrichtendienst in Berlin. Die Pannenserie wird immer mehr zum Imageproblem, auch für die deutschen Ingenieure, deren Kompetenz und Organisationstalent einst weltweit gerühmt wurden.

Etwas Trost könnten sie bei Bent Flyvbjerg finden. Der dänische Ökonom, der in Oxford lehrt, zeigte schon vor elf Jahren auf, dass der demokratische Staat mit seiner Rolle als Bauherr rund um den Globus überfordert ist. Er nahm 260 Megaprojekte unter die Lupe, vom Eurotunnel bis zur Oper von Sydney. Sein Fazit: In neun von zehn Fällen wurden die Kosten unterschätzt, im Schnitt um 28 Prozent. Dahinter, vermutete der Forscher, muss mehr stecken als individuelles Versagen – nämlich ein System, das auf Lügen baut. Flyvbjergs provokante These hat Furore gemacht und eine eigene Forschungsrichtung angestoßen.

Sie zeigt eine unheilvolle Symbiose von Staat und den Baufirmen. Die Politiker der Exekutive müssen eine zunehmend skeptische Bevölkerung von ihren Visionen überzeugen. Ob einfache Bürger, Mandatare in den Parlamenten oder Beamte in Genehmigungsbehörden: Sie alle fürchten Schulden, Sicherheitsrisiken und Umweltschäden. Das verleitet den öffentlichen Bauherrn dazu, den Nutzen zu hoch und die Kosten zu niedrig zu schätzen, um sein Wunschprojekt über die Hürden zu bringen

Erst zu billig, dann zu teuer.
Als erstes spart er, um das Murren zu dämpfen, Zeit und Geld beim Planungsvorlauf und lässt auf die Schnelle lückenhafte Ausschreibungen erstellen. Die Anbieter spielen dankbar mit: Sie legen noch lückenhaftere Angebote mit sehr niedrigen Margen. Auf dieser Basis wird politisch entschieden, während die Fachleute draußen den Kopf schütteln: So billig kann man das doch nie bauen. Ist die Entscheidung erst einmal gefallen, stellt sich bald heraus, was alles zu ergänzen, nachzuordern, umzuplanen ist. Damit haben die Auftragnehmer, ob Generalunternehmer, Planungsfirma oder einzelnes Gewerk, natürlich gerechnet. Sie lassen sich die Nachträge vom Bauherrn Staat vergolden. So scheitern Zeitpläne, so geraten Budgets aus den Fugen.

Dieses „Strickmuster“ entdeckt Wirtschaftsforscher Werner Rothengatter überall dort, wo der Staat das gesamte Risiko trägt und auf den Steuerzahler ablädt, während die ausführenden Firmen „für die Finanzierung nicht geradestehen müssen“: „Das ist der Grundfehler im System.“ Diese Aufteilung ist für Deutschland (und Österreich) typisch. Rothengatter plädiert dafür, privates Kapital und Risiko einzubinden (siehe Interview rechts).

Nicht nebenbei bauen. Aber auch ohne privates Miteigentum gilt es, schlimme Patzer zu vermeiden. Früher wurde ein Großauftrag oft komplett einem Generalunternehmer übergeben, der sich dann seine Sublieferanten suchte. Doch „der Markt hat sich geändert“, erklärt Dierk Mutschler, Vorstand der internationalen Bauberatungsfirma Drees & Sommer: „Generalunternehmer wie vor 15 Jahren gibt es in dieser Form nicht mehr.“ Öffentliche Auftraggeber versuchen deshalb immer öfter, die Schnittstellen zu hunderten Einzelunternehmen selbst zu koordinieren. Wenn sie das im Griff hätten, könnten sie so bis zu 30 Prozent der Kosten einsparen. Aber in aller Regel mündet der Versuch im teuren Chaos.

Um das zu verhindern, müssten sie zumindest Projektgesellschaften gründen und dafür ausgewiesene Fachleute holen. Beim BER in Berlin und beim Skylink in Schwechat wurde darauf verzichtet. Die Flughafenbetreiber selbst sollten nebenbei ein Megabauprojekt stemmen – ein Kardinalfehler.

Es geht auch anders. Schneller, günstiger, besser. Sogar in Berlin, mit einfachen Tricks. Bei der Sanierung der Stadtautobahn versprach der Bund der Baufirma Prämien für jeden eingesparten Tag. Das Ergebnis: Statt Ende 2013 können die Berliner nun schon ein gutes Jahr früher staufrei über ihre „Avus“ brausen – und zahlen zehn Prozent weniger als geplant. Das ist, anders als es der Spatenstich in Schönefeld war, tatsächlich ein Grund zum Feiern.

In Zahlen

86Prozent
aller Großprojekte der öffentlichen Hand werden teurer als anfangs geplant.

28Prozent
betragen die Mehrkosten im Schnitt. Das war 2002 das Ergebnis einer

bahnbrechenden Untersuchung von 260 großen

Bauprojekten weltweit. Die Situation hat sich seither nicht gebessert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2013)

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Kommentare

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