Die deutsche Gewerkschaft will den US-Onlinehändler Amazon in Deutschland in einen Tarifvertrag zwingen. Amazon hat dafür kein Verständnis. Es drohen weitere Streiks.
Wien/Hie. Das deutsche Bad Hersfeld ist seit einigen Monaten Schauplatz eines tief greifenden Konflikts. Auf der einen Seite steht ein Konzern aus den USA, der sich mit einem einfachen, aber bestens funktionierenden Konzept die Weltherrschaft im Onlineversandhandel erarbeitet hat. Auf der anderen Seite eine starke Gewerkschaft, die so gar nicht akzeptieren will, dass sich der Onlineriese nicht ihren Gepflogenheiten unterwirft. Man steht auf Kriegsfuß.
Und so gab es am Dienstag zum ersten Mal Streik bei Amazon Deutschland. In Bad Hersfeld (Hessen) beteiligten sich während der Früh- und Spätschicht je rund 600 und in Leipzig (Sachsen) rund 300 Mitarbeiter an dem Ausstand, so die Gewerkschaft. Und das sei erst der Anfang. Falls die Amazon-Geschäftsleitung weiter keine Verhandlungsbereitschaft zeige, habe man „noch Pfeile im Köcher“.
Die Gewerkschaft will, dass Amazon eine Tarifbindung – vergleichbar mit dem österreichischen Kollektivvertrag – eingeht. Und zwar nach den Regeln des Einzel- und Versandhandels. Einfach gesagt: Sie will mehr Geld für Beschäftigte. „Diese fühlen sich nicht angemessen entlohnt“, sagt Mechthild Middeke, die für Amazon in Bad Hersfeld zuständige Gewerkschaftssekretärin, zur „Presse“. Zudem spare Amazon durch Ablehnung der Tarifbindung Kosten und verschaffe sich so einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen.
„Einkommen am oberen Ende“
Amazon hat dafür kein Verständnis. Man sei bereit, die Gespräche fortzuführen, sehe im Moment aber „keine gemeinsame Basis für Verhandlungen“, teilte Amazon auf „Presse“-Anfrage mit. Die Amazon-Mitarbeiter arbeiteten in Logistikzentren, der Einzelhandelstarif habe „keinen Sinn“. Das Einkommen liege am oberen Ende dessen, was in der Logistikindustrie üblich sei – mindestens 9,30 Euro plus Boni im ersten Jahr, über zehn Euro im zweiten, plus Unternehmensaktien nach zwei Jahren Betriebszugehörigkeit, so Amazon.
Die Gewerkschaft sieht da noch Spielraum. Mit dem Einzelhandelstarifvertrag würden die Mitarbeiter zwischen 6000 und 9000 Euro brutto im Jahr mehr verdienen, sagt Middeke.
Der Amazon-Standort Bad Hersfeld geriet erst kürzlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit, weil in einer TV-Reportage die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitern im Versandzentrum kritisiert worden waren. Unter Beschuss kam auch die in Österreich ansässige Zeitarbeitsfirma Trenkwalder, die die betroffenen Leiharbeiter an Amazon vermittelt hatte.
Die deutsche Bundesagentur für Arbeit leitete daraufhin eine Sonderprüfung gegen Trenkwalder ein und stellte fest, dass der Konzern in Deutschland gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verstoßen hat. Zu den Konsequenzen äußerte sich die Bundesagentur für Arbeit aus Datenschutzgründen nicht. Und Trenkwalder schweigt seit Monaten konsequent zu der Angelegenheit. Auch am gestrigen Dienstag wollte das Unternehmen keine Stellungnahme zum Thema abgeben.
Amazon teilte mit, derzeit an seinen deutschen Logistikstandorten 140 Mitarbeiter aus Zeitarbeitsagenturen zu beschäftigen. Man setze Zeitarbeit nicht zur Kostensenkung ein, sondern ausschließlich zur Bewältigung von Kundenbestellungen zu Saisonspitzen. Während des Jahres seien etwa drei Prozent aller Mitarbeiter Zeitarbeiter. Im November und Dezember über zehn Prozent. Das bestätigt auch die Gewerkschaft: Laut Middeke seien in Bad Hersfeld derzeit keine Leiharbeiter beschäftigt, sie würden nur im Saisongeschäft eingesetzt.
Für Amazon arbeiten in Bad Hersfeld 3300 Menschen, in Leipzig etwa 2000. Im deutschen Onlinebuchhandel kommt der US-Konzern laut aktuellen Daten des Bundesverbands deutscher Versandbuchhändler auf einen Marktanteil von 74 Prozent.
Auf einen Blick
Bei Amazon Deutschland traten am Dienstag an zwei Standorten Teile der Belegschaft in den Streik. Die Gewerkschaft will, dass sich Amazon an den Tarifvertrag des Einzel- und Versandhandels bindet. Amazon sieht derzeit „keine gemeinsame Basis“ für Verhandlungen. Die Gewerkschaft droht mit weiteren Streiks.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2013)