Kollege Roboter entert das Büro

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Jeder zweite Arbeitsplatz wird in den nächsten 20 Jahren von Computern übernommen, so eine Studie der Universität Oxford. Ist der Fortschritt zu schnell, oder sind wir zu langsam?

Sind Sie technischer Mathematiker, Telefonverkäufer, Steuer-Buchhalter, Chauffeur, Bankkassier oder gar Kinofilmvorführer? Dann sollten Sie sich in den nächsten Jahren vielleicht um ein neues Betätigungsfeld umsehen. Denn ihren jetzigen Job wird in den kommenden zwanzig Jahren vermutlich ein Computer übernehmen. Das behaupten zumindest die beiden Oxford-Wissenschaftler Carl Benedikt Frey und Michael Osborne in einer jüngst publizierten Studie. 47 Prozent aller Arbeitsplätze, die es in den USA heute gibt, werden demnach in den nächsten beiden Dekaden dem technischen Fortschritt zum Opfer fallen, schreiben sie.

Und anders als bei bisherigen Automatisierungswellen trifft es diesmal nicht nur die Routinejobs mancher Fabriksarbeiter. Die digitale Konkurrenz landet mitten in den Büros der Mittelschicht-Angestellten.

Die Furcht der Menschen, ihren Arbeitsplatz an einen mechanischen Kollegen zu verlieren, ist so alt wie die industrielle Revolution selbst – und sie hält sich hartnäckig. 1811 riefen die Textilarbeiter zum Sturm auf mechanische Webstühle in Großbritannien, die ihnen die Arbeitsplätze streitig machten. Der berühmte Ökonom John Maynard Keynes warnte noch 1930 in seinem Essay „Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder“ vor der „Krankheit technologische Arbeitslosigkeit“.


Lohn stagniert. Bis dato waren all diese Sorgen jedoch unbegründet. Wann immer der technische Fortschritt – frei nach Joseph Schumpeter – alte Arbeitsplätze und Industrien vernichtet hat, hat er der Menschheit damit letztlich mehr Wohlstand und bessere Jobs gebracht. Kein Grund zur Sorge also, predigen die Ökonomen seit Jahrzehnten.

Doch diesmal ist es anders, warnen gleich mehrere Wissenschaftler. „Viele Arbeiter verlieren einfach das Rennen gegen die Maschinen“, schrieben die beiden MIT-Ökonomen Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee schon 2011 in ihrem Buch „Race against the machine“. Erstmals seit der Erfindung des Rades vernichte der technologische Fortschritt mehr Arbeitsplätze, als er schaffe.

Diese These untermauern die Apologeten der digitalen Jobvernichtung mit zwei Argumenten: Erstens, das Versprechen, wonach die Automatisierung immer höhere Gehälter und Wohlstand für die verbliebenen Angestellten schaffe, wird in den vergangenen zwanzig Jahren nicht mehr eingelöst. Quer durch die industrialisierte Welt haben die Lohneinkommen nach Abzug der Inflationsrate in den vergangenen Jahren bestenfalls stagniert. In Österreich ist dadurch der Anteil der Löhne am gesamten Volkseinkommen von 76 Prozent Mitte der Neunziger auf 67 Prozent im Jahr 2011 gesunken. Im Gegenzug stieg der Anteil des Kapitals, und damit der Maschinen, an. In kaum einem anderen westeuropäischen Land sank die Lohnquote schneller als hierzulande, errechnete das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo. Während alte Industrie-Schlachtrösser mit teils gigantischen Belegschaften versinken, kommen die Emporkömmlinge lange mit vergleichsweise wenigen Mitarbeitern aus. Es dauert also seine Zeit, bis die Menschen nicht nur die zerstörerische Kraft der Technologie auf dem Jobmarkt spüren, sondern auch ihre schöpferische Kraft.

Doch diese Zeit haben sie nicht mehr, so das zweite Argument. Als Beleg dafür führen sie „Moore's Law“ an. Der Mitgründer des Chipherstellers Intel forderte von seinen Angestellten, dass sie die Leistung der Computerprozessoren alle zwei Jahre verdoppeln. Aus der Faustregel wurde eine Realität, die bis heute anhält. Computer sind heute tausendmal schneller als vor dreißig Jahren. Noch rasanter geht die Entwicklung von Software-Algorithmen voran.

In den kommenden Jahren werden daher Computer viele Routinetätigkeiten von Büroangestellten übernehmen, schreiben die Oxford-Ökonomen Frey und Osborne. Aber damit nicht genug. Sobald die künstliche Intelligenz so weit entwickelt ist, dass Computer auch komplexere Aufgaben zuverlässig lösen können, seien auch Arbeitsplätze im Management oder im künstlerischen Bereich gefährdet.


Fluch und Segen. Weit ist es dahin nicht mehr. Was vor wenigen Jahren undenkbar war, ist längst Realität: Google schickt fahrerlose Autos durch halb Amerika und Smartphones werden zu tragbaren Labors. Das ist keineswegs schlecht. In fast allen Branchen haben Computer Unternehmen den Weg geebnet, deren Produkte heute zum Standard des bequemen Lebens in Industrienationen zählen oder Menschen in Schwellenländern erstmals eine reale Chance auf leistbare Bildung und Gesundheitsversorgung eröffnen. „Ein ökonomisches Gesetz, dass alle oder auch nur die meisten Menschen davon profitieren müssen, gibt es aber nicht“, schreiben Brynjolfsson und McAfee.

Die digitale Revolution wird also zu großen Umwälzungen auf den Arbeitsmärkten führen. Die Möglichkeiten der Regierungen, darauf zu antworten, sind beschränkt. Wollen sie den Fortschritt verhindern, werden sie von den Ländern überrollt werden, die sich auf die neuen Möglichkeiten stürzen. Wollen sie die Arbeiter durch besonders strikten Kündigungsschutz oder hohe Mindestlöhne fördern, werden die Unternehmer nur umso schneller auf mechanische Arbeitskräfte umsteigen. Stattdessen sollten sie alles daransetzen, möglichst vielen Menschen die Chance zu geben, tätig zu werden. Etwa durch die längst versprochene Senkung der Lohnsteuer, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes oder die Förderung des Unternehmertums.

Das Ende der Lohnarbeit muss dennoch niemand fürchten. Dafür sorgen nicht zuletzt die Fabrikanten selbst, wie eine Anekdote aus der Mitte des 20. Jahrhunderts zeigt: Der Autobauer Henry Ford II. soll den Gewerkschaftsboss Walter Reuther auf einem Rundgang durch seine neu automatisierte Fabrik gefragt haben: „Und Walter, wie bringst du all die Roboter jetzt in die Gewerkschaft?“ Die Antwort des Gewerkschafters war nicht minder treffend: „Wie bringst du sie denn dazu, dass sie deine Autos kaufen?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2014)

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