Tu felix Helvetia: 3300 Euro Mindestlohn für die Verkäuferin

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Die bevorstehende Volksabstimmung genügt schon, damit bereits jetzt Schweizer Unternehmen den Mindestlohn auf 4000 Franken erhöhen.

Beim Urlaub sind die Schweizer sparsam. Sechs Wochen? Nicht notwendig, befand das Volk im März 2012 und stimmte mit beachtlichen 67 Prozent gegen eine Initiative, die den Mindesturlaub um zwei Wochen ausweiten wollte.
Beim Geld aber kennen die Eidgenossen keine Grenze nach oben - oder besser: nur eine sehr, sehr hohe Grenze. Während die deutsche Bundesregierung am Mittwoch - nach überaus heftigem Tauziehen - einen Mindestlohn von 8,50 Euro brutto pro Stunde beschlossen hat, dringt man in der Schweiz in völlig andere Sphären vor: Lidl, Aldi (der Schweizer Hofer) und jetzt auch die Bekleidungskette H & M haben eben einen Mindestlohn von 17,98 Euro pro Stunde umgesetzt. Hochgerechnet auf den Monat sind das 3269 Euro brutto für eine ungelernte Arbeitskraft. Nur zum Vergleich: Das Durchschnittseinkommen in Österreich liegt bei 2163 Euro brutto.

Die Lohnsteigerungen kommen nicht von ungefähr. Die Unternehmen springen eher aus Marketingüberlegungen auf einen Zug auf, den manche schon als abgefahren sehen: Im Mai werden die Schweizer nämlich über eine Initiative der Gewerkschaft abstimmen, die einen flächendeckenden monatlichen Mindestlohn von 4000 Franken brutto (umgerechnet eben 3269 Euro) vorsieht.
Das klingt nicht nur viel, es ist auch viel. Die höchsten Mindestlöhne in Europa werden aktuell in Luxemburg bezahlt, mit 11,10 Euro pro Stunde. Danach folgt Frankreich mit einem gesetzlichen Mindestlohn von 9,5 Euro pro Stunde. In Österreich gibt es keinen Mindestlohn, weil die meisten Arbeitnehmer in Kollektivverträgen erfasst sind. Im traditionell schlecht bezahlten Handel werden ab 2015 monatlich mindestens 1500 Euro brutto bezahlt, umgerechnet ist das ein Stundenlohn von 8,6 Euro.

In der Schweiz werden es also 17,98 Euro sein. Ein Hungerlohn in Basel, wo Arbeitnehmer (dank der Banken) im Schnitt 6542 Euro brutto pro Monat verdienen. Aber eigentlich auch nicht sonderlich viel im Thurgau, dem Kanton, in dem mit 5478 Euro die niedrigsten Löhne bezahlt werden. Laut Erhebung des Schweizer Bundesrats verdienten 2010 (aktuellste Zahlen) nur 9,5 Prozent der Arbeitnehmer weniger als 4000 Franken im Monat.
Dass die hohen Lebenshaltungskosten in der Schweiz solche Löhne relativieren, stimmt nur teilweise. Das Deutsche Statistikamt hat erhoben, dass die Haushaltsausgaben in der Schweiz um 58 Prozent über dem EU-Schnitt liegen (Stand 2012). In Österreich sind sie um 5,8 Prozent höher als im Durchschnitt, in Deutschland um lediglich 1,8 Prozent, in der Türkei lebt man dafür um 33 Prozent billiger als im europäischen Durchschnitt.

Laut Umfragen des "SonntagsBlicks" dürfte die Mehrheit für die 4000-Franken-Initiative stimmen. Dafür wollen die wehrhaften Eidgenossen kein Geld für die Landesverteidigung ausgeben: Ein Initiative zum Ankauf von Gripen-Kampfflugzeugen wird mehrheitlich abgelehnt.

E-Mails an: norbert.rief@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2014)

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