Nahrungsmittelpreise: Zwischen Panikmache und Realität

Weizenfeld
WeizenfeldClemens Fabry
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Der Anstieg der Nahrungsmittelpreise im ersten Quartal könnte mancherorts zu Aufständen führen, warnt die Weltbank. Seltsam, sagen Analysten: Die Preise sinken nämlich seit Wochen, das Getreideangebot nimmt zu.

Auch wenn die Weltbank heuer nicht die erste Organisation ist, die wegen des Preisanstiegs für Nahrungsmittel Alarm schlägt: Der Aufschrei, den sie am Donnerstag von sich gab, fiel deshalb nicht leiser aus. Der jüngste Preisanstieg könnte– wie in früheren Jahren– zu Aufständen von Hungernden führen und das Anwachsen sozialer Spannungen begünstigen, schreibt die Weltbank in ihrem aktuellen Bericht.

Begründet wird der Alarm mit Daten aus dem ersten Quartal. In diesem nämlich stiegen die Nahrungsmittelpreise deutlich an. Im Schnitt waren sie um vier Prozent höher als in den vergangenen drei Monaten 2013. Vor allem war es der erste Preisanstieg seit dem Rekordpreishoch vom Sommer 2012 überhaupt. Allein Weizen verteuerte sich um 18 Prozent, Mais immerhin um zwölf Prozent, Zucker um 13 Prozent. Auf der anderen Seite wurde Reis um zwölf Prozent billiger.

Schon Anfang April hatte die Nahrungsmittelabteilung der Vereinten Nationen, FAO, auf das Problem der Preise hingewiesen und konstatiert, dass diese ein Zehnmonatshoch erreicht hätten. Wie die UNO erklärt auch die Weltbank den Anstieg mit Trockenheit in den größten Getreideproduktionsländern, mit mehr Nachfrage vor allem aus China und nicht zuletzt mit den Unruhen in der Ukraine.

Ukraine-Hypothese.
In der Tat schnellten die Inlandspreise für Weizen und Mais in der krisengeschüttelten Ukraine, die als sechstgrößter Weizen- und drittgrößter Maisexporteur gilt, im ersten Quartal sogar um 37 bzw. 73 Prozent nach oben. Die politische Instabilität ist dafür freilich nicht direkt verantwortlich. Zu Buche schlugen die Abwertung der Währung, aber auch eine verzögerte Aussaat und steigende Produktionskosten. Dennoch warnt die Weltbank: „Die geopolitische Spannung in der Ukraine ist zwar keine Bedrohung für den Export, kann aber vielleicht Folgen für die Produktion und den Handel in Zukunft haben, wenn die Unsicherheit größer wird.“

Was freilich die Weltbank motiviert hat, ausgehend von den Daten des ersten Quartals jetzt, zwei Monate später, globalen Alarm zu schlagen, erschließt sich den Experten nicht. „Das ist reiner Populismus“, sagt Carsten Fritsch, Rohstoffanalyst der Commerzbank in Frankfurt, auf Anfrage der „Presse am Sonntag“: „Die Getreidepreise fallen seit Wochen. Bei Weizen beobachten wir den stärksten Rückgang seit drei Jahren.“

Tatsächlich gingen Futures (Terminkontrakte) auf Weizen im Mai um 13 Prozent nach unten – so stark wie zuletzt im September 2011. Der Preis für Mais fiel im Mai um 9,9 Prozent – so stark wie zuletzt im Juni 2013. Auch Sojabohnen verbilligten sich erstmals seit Jänner. Die USA sind bei beiden Sorten weltweit größter Produzent.

Zuvor hat gerade die Trockenheit in den USA Befürchtungen geringerer Ernteerträge ausgelöst. So reduzierte der Internationale Getreiderat in London am Donnerstag den Prognosewert für die globale Weizenproduktion dieses Jahres leicht von zuvor 697 Mio. Tonnen auf 694 Mio. Tonnen. Gleichzeitig kamen am Freitag positive Meldungen aus den USA, dass die jüngsten Regenfälle die Wachstumsbedingungen deutlich erhöhen. „Die Preise fallen, weil es zuletzt in den USA doch stärker geregnet hat“, so Fritsch: „Nur in manchen Fällen kommt der Regen zu spät.“

So besteht begründete Aussicht, dass die Preise sinken, worüber die Händler ihrerseits natürlich nicht erfreut sind. „Das weltweite Getreideangebot ist im Steigen begriffen, und das ist das größte Minus für den Markt“, wird Greg Grow, Agraranalyst bei Archer Financial Services in Chicago, bei Bloomberg zitiert: „Es zeichnen sich keine größeren Wetterprobleme ab.“

Genau am Freitag kamen auch beruhigende Prognosen aus der Ukraine, dass die Ernte sogar etwas höher ausfallen könnte als im Vorjahr. Die Ukraine konkurriert international übrigens mit Russland. Gewisse Ernteausfälle werden bezeichnenderweise für die von Russland annektierte Krim erwartet, weil dort die Wasserversorgung seitens der Ukraine mangelhaft ist.

Was nun die Auswirkungen der Unruhen in der Ukraine auf den Getreidemarkt betrifft, so teilt zumindest das US-Landwirtschaftsministerium USDA die Vorsicht der Weltbank. Das USDA, das soeben die ersten offiziellen Prognosen für den globalen Markt in der Erntesaison 2014/15 abgegeben hat, hat den Risken in der Ukraine Rechnung getragen– konkret bei Mais mit einem Abschlag von 15 Prozent gegenüber der Vorjahresernte.

Im Übrigen deutet auch die USDA-Prognose nicht auf ein Angebotsdefizit bei den wichtigsten Getreidesorten, Ölsaaten und bei Baumwolle hin. „Entspannter Blick in die Zukunft“ betitelt die Commerzbank daher eine aktuelle Studie zum Getreidemarkt im Erntejahr 2014/2015, zu der sie diverse vorliegende Prognosen ausgewertet hat. „Wir erwarten daher eine teilweise seitwärts, zum Teil auch nach unten gerichtete Preisentwicklung.“

Nicht blauäugig.
Der prophezeite Rückgang der Weizenproduktion hat indes in erster Linie mit dem Basiseffekt zu tun, schließlich wurde 2013 eine Rekordernte eingefahren. Die globale Maisernte hingegen soll laut USDA auf Rekordhöhe bleiben, wiewohl der Angebotsüberschuss aufgrund steigender Nachfrage zurückgehe. Neue Rekordernten seien bei Sojabohnen und Raps zu erwarten. Bei Baumwolle hingegen sinke die Ernte. Weil aber China weniger importiere, bleibe auch hier ein Überschuss.

Gewiss, blauäugig ist man auch bei den Analysten nicht. So weist die Commerzbank darauf hin, dass die Risken für die Prognosen zu diesem Zeitpunkt allemal hoch blieben: „Das Wetter, politische Spannungen und klimatische Ereignisse wie El Niño können aktuelle Prognosen schnell über den Haufen werfen.“

Nahrungsmittelpreise

Entwicklung
Die Nahrungsmittelpreise sind im ersten Quartal deutlich gestiegen. Ursachen waren die schlechte Witterung sowie die Unruhe in der Ukraine. Beides ließ schwache Ernten erwarten. Im zweiten Quartal sanken die Preise aber wieder: Die Ernten fielen doch nicht so schlecht aus, die Situation in der Ukraine entspannte sich.

Angebot
Grundsätzlich hängen die Nahrungsmittelpreise von Angebot und Nachfrage ab. Ein knappes Angebot würde die Preise in die Höhe treiben. Heuer werden bei Mais, Sojabohnen und Raps Rekordernten erwartet, bei Weizen ist das Vorjahr hingegen nur schwer zu toppen.

Nachfrage
Die Nachfrage nach Nahrungsmitteln, insbesondere Getreide, wächst stetig. Ein Grund ist die steigende Weltbevölkerung, eine andere die Tatsache, dass vor allem in Asien deutlich mehr Fleisch gegessen wird als früher: Für den Anbau von Tierfutter benötigt man Ernteflächen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2014)

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