Hannes H. Gissurarson: "Es ist keine gute Idee, Banken zu retten"

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Sein Land sei 2008 von London und Washington fallen gelassen worden, um der Welt eine Lektion zu erteilen, sagt der isländische Forscher Hannes H. Gissurarson.

Wie steht Island heute da – sechs Jahre nach der Krise und dem Kollaps seines Bankensystems?

Hannes H. Gissurarson: Island geht es heute viel besser, als man glaubt. Das wirtschaftliche Wachstum ist zurück, und die Exportindustrie hat diese Erholung stark vorangetrieben. Wir haben daraus gelernt, nie zu verzweifeln und zu glauben, jetzt stünde das Ende der Welt vor der Tür. Es gibt immer Licht am Ende des Tunnels.

Es gab zum Kollaps Islands im Jahr 2008 ein konkretes Narrativ. Nämlich jenes, dass es sich um ein neoliberales Versagen und ein Versagen des Kapitalismus gehandelt hat. Stimmt das?

Es ist natürlich absurd anzunehmen, dass Islands Kollaps die Folge eines „neoliberalen Projekts“ gewesen sei, wie oft zu hören war. Der isländische Finanzsektor war reguliert – und zwar auf genau dieselbe Art wie die Banken in anderen Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Im EWR gelten harmonisierte Regeln für die Finanzmärkte. (Island ist nicht in der EU, aber Mitglied des EWR, einer vertieften Freihandelszone zwischen den Mitgliedsländern der EU sowie Island, Liechtenstein und Norwegen, Anm.)

Aber kann man die Krise dem Kapitalismus in die Schuhe schieben?

Ich würde sagen: ja und nein. Wir sehen, dass es im Kapitalismus Boom- und Bust-Phasen gibt. Es gibt Zeiten des Optimismus und solche des Pessimismus. Die Leute kaufen – und sie verkaufen wieder. Aber wenn wir genau hinschauen, dann sehen wir, dass viele Verwerfungen an den Märkten in Wahrheit durch schlechte politische Entscheidungen ausgelöst werden. Die Krise von 2008 wurde durch die Subprime-Kredite ausgelöst, die auf dem US-Immobilienmarkt vergeben wurden. Aber die Vergabe von Subprime-Krediten war genauso wie die niedrigen Zinsen der US-Notenbank Federal Reserve politisches Programm der Regierung.

Was waren die Hauptfehler in Island vor der Krise? Und warum ist das Bankensystem Islands kollabiert?

Schuld war einerseits die sehr rasche Kreditexpansion der isländischen Banken. Aber das wäre nicht das Problem gewesen, wenn Island denselben Zugang zu Dollar-Swaplines der Fed bekommen hätte, wie sie auch Dänemark, Norwegen und Schweden bekommen haben. Diese Länder konnten ein Bail-out für ihre Banken aufstellen, aber wir konnten das nicht. Das war natürlich nicht nur schlecht, denn es ist schlicht und einfach keine gute Idee, Banken zu retten. Banken sollten für die Konsequenzen ihrer Geschäfte auch verantwortlich gemacht werden. Menschen machen Fehler – aber man muss diese Fehler auch korrigieren, statt sie zu subventionieren.

Die Sache mit den Fed-Swaplines ist nicht einfach zu verstehen. Was ist da konkret passiert?

Die Federal Reserve hat während der Krise sogenannte Swaplines mit europäischen Zentralbanken geöffnet– auch außerhalb der Eurozone. Das heißt im Prinzip, dass diese europäischen Zentralbanken bei der Fed US-Dollar im Austausch für ihre nationale Währung bekommen haben. Sie konnten sozusagen Dollar drucken. Die Zentralbanken der Schweiz, von Schweden, Norwegen und Dänemark haben diese Möglichkeit bekommen – Island aber nicht. Island wurde eine solche Swaplinie verweigert.

Aber warum?

Es gab große Ablehnung gegenüber den isländischen Banken im angelsächsischen Raum damals. Island war verzichtbar – eine kleine Insel ohne große Bedeutung. In den USA und Großbritannien herrschte wohl der Eindruck vor, die isländischen Banken hätten zu rasch expandiert und die Zinsen in die Höhe getrieben. Am Ende wurde Island die Teilnahme an der internationalen Rettungsaktion für die Banken einfach verweigert.

Also Island als Experiment für die Folgen einer gescheiterten Rettungspolitik?

Das ist eine Möglichkeit – aber ich glaube nicht, dass das eine bewusste Entscheidung oder gar eine Verschwörung gegen Island war. Es gab damals das Gefühl an den Finanzmärkten, dass die Isländer zu rasch gewachsen sind und sich unverantwortlich verhalten, weil die Zinsen stiegen, während die Steuern gesenkt wurden. Es ging wohl darum, Island und dem Rest der Welt via Island eine Lektion zu erteilen. Aber das ist freilich nur Spekulation – die genauen Motive werden wir wohl nie erfahren.

Was wissen wir konkret?

Wir wissen nur, dass die Federal Reserve Islands Hilferufe ignoriert hat, während sie Norwegen, Schweden und Dänemark geholfen hat. Wir wissen auch, dass die britische Regierung nicht nur jede Hilfe für Island abgelehnt hat – sondern sogar eine isländische Bank (Landsbankinn, Anm.) auf die Liste terroristischer Organisationen gesetzt hat. Das hatte die sofortige Folge, dass fast alle Geldbewegungen nach und aus Island gestoppt wurden. Eine Zeit lang ist es sogar schwierig gewesen, Essen und Medikamente nach Island zu importieren.

Warum wurde die isländische Bank auf die Terrorliste gesetzt?

Es war ein symbolischer Schritt. Ich habe aber keine Ahnung, was uns das Symbol sagen sollte. Es sollte wohl zeigen, dass London gegenüber Island nicht nachgeben wird und uns eine Lektion erteilt.

Seit der Krise ist es ruhig geworden um einen EU-Beitritt Islands. Wird Island nach diesen Erfahrungen noch der EU beitreten?

Das glaube ich nicht. Die EU ist ein kontinentales Projekt. Es ist ein bemerkenswertes Projekt der europäischen Nationen, um weitere Kriege zu vermeiden und einen offenen Markt in Europa zu verwirklichen. Aber manche Länder sind tatsächlich nur am Rand dieses Projekts zu finden. Wie Norwegen oder die Schweiz – sowie möglicherweise England und Schottland. Es ist bis heute unklar, ob diese Länder tatsächlich Teil des EU-Projekts sein sollten. Für Island gilt dasselbe.

Wie hat Island die Krise konkret überstanden? Heute gibt es ja wieder Banken in Island – trotz des Kollapses.

Ja, weil die Regierung das Land finanziell abgeriegelt hat und auf den Ruinen der alten wieder neue Banken entstanden sind. Aber die konzentrieren sich in erster Linie auf das Inlandsgeschäft. Die alten isländischen Banken sind in den Jahren vor dem Kollaps zu internationalen Banken geworden – um zu wachsen.

Island hat also gelernt?

Ja, wir haben gelernt. Wir haben gelernt, vorsichtiger zu sein.

Und hat der Rest der Welt diese Lektion auch gelernt? Die Banken wurden ja meist gerettet – anders als in Island.

Ich bezweifle, dass sie dazugelernt haben in New York oder London. Es sieht so aus, als würden die großen Banken dieselben Wege gehen wie vor der Krise. Wege, die in den Abgrund geführt haben.

Steckbrief

Hannes H. Gissurarson ist Professor an der University of Iceland. Er war im Vorstand der liberalen Mont Pelerin Society (1998 bis 2004) und im Aufsichtsrat der isländischen Zentralbank (2001 bis 2009).

Als Gastprofessor unterrichtete Gissurarson in Stanford, an der UCLA, der George Mason University, in Rom und Turin. Er hat 15 Bücher publiziert – in seinem nächste geht es um den Kollaps der isländischen Banken 2008.

Gissurarson war von 1991 bis 2004 informeller Berater der isländischen Regierung. Die „Presse am Sonntag“ traf ihn in Berlin beim Kongress der European Students for Liberty.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2014)

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