Ökonom Fratzscher: "Der Staat muss jetzt ein Signal senden"

(c) REUTERS (THOMAS PETER)
  • Drucken

Marcel Fratzscher gilt als „Chefökonom“ der deutschen Regierung. Sein Appell: Der Staat muss wieder investieren. Aber vor allem muss er Unternehmen zu mehr Investitionen anregen.

Die Presse: Ihr neues Buch heißt „Die Deutschland-Illusion“. Machen die Deutschen sich etwas vor?

Marcel Fratzscher: Ja, wenn es um Produktivität und um Innovationen geht. Die Produktivitätsrate war in Deutschland in den letzten 15 Jahren leicht unter dem Durchschnitt in der Eurozone. Dazu kommt die Lohnentwicklung. Die unteren 60 Prozent der Einkommen haben heute eine geringere Kaufkraft als im Jahr 2000.

Woran liegt das?

Einerseits an der schwachen Produktivität, andererseits an den niedrigen Investitionen. Wir haben auch sehr geringe private Vermögen – und gleichzeitig eine große Ungleichheit bei der Vermögensverteilung. Und das Nettovermögen des Staates, also der Wert der öffentlichen Infrastruktur, hat auch abgenommen. Für all diese Probleme sind die niedrigen Investitionen sowohl der Privaten als auch der öffentlichen Hand der Schlüssel. Das gilt auch für den immateriellen Bereich – auch bei Forschung und Entwicklung ist der Kapitalstock langsamer angestiegen als in vielen anderen Ländern.

Fehlt es eher an privaten oder an öffentlichen Investitionen?

Beide lassen nach. Der Staat investiert knapp ein Drittel weniger, als das in vergleichbaren Ländern passiert. Im privaten Bereich investieren wir knapp drei Prozent weniger als andere Industrieländer. Die Exportunternehmen investieren immer weniger in Deutschland. Und bei den Dienstleistern herrscht oft viel zu wenig Wettbewerb – da funktionieren die Märkte nicht.

Können Sie Beispiele nennen?

Zum Beispiel der Bereich der Gesundheitsvorsorge. Auch die Rechtsanwälte werden zu stark reguliert. Und wenig Wettbewerb bedeutet wenig Produktivität.

Sie erwähnen die schwache Produktivität. Ist Deutschland nicht der Produktivitätsweltmeister?

Die Exportunternehmen, ja. Die Bereiche Maschinenbau, Automobil, Pharma und Chemie. Die zahlen auch die höchsten Löhne und haben die stärkste Lohnentwicklung mitgemacht. Das ist eine der großen Stärken der deutschen Wirtschaft. Die Marktanteile der deutschen Exporteure sind auch gestiegen in den vergangenen Jahren. Aber das ist nur ein Teil der deutschen Wirtschaft. Außerhalb des Exportsektors wird wenig investiert.

Wie steht es um die öffentlichen Investitionen?

Da wollte man konsolidieren. Das hat dazu geführt, dass man sich von echten Investitionen abgewandt hat und es einen starken Anstieg bei öffentlichen Konsumausgaben gab. Der Bund könnte hier eine Trendwende einleiten. Aber auch im vergangenen Jahr waren alle neuen öffentlichen Ausgaben Konsumausgaben. Also höhere Rentenausgaben durch die Senkung des Rentenalters zum Beispiel. Das kostet zehn Milliarden zusätzlich pro Jahr. Und das ist auch keine Einmalleistung.

Aber würden mehr staatliche Investitionen nicht auch den Sparkurs in Gefahr bringen?

Der wichtigste Punkt für mich ist, dass Deutschland nicht spart. Wir verschulden uns weiter, weil die eigene Infrastruktur verfällt. Das Nettovermögen des Staates ist in den letzten 15 Jahren um 500 Mrd. Euro gesunken. Weg vom Konsum, hin zu öffentlichen Investitionen – das bedeutet nicht automatisch mehr Schulden, sondern ein anderes Gleichgewicht bei den Staatsausgaben. Aktuell kommt ein Abschwung dazu und die Risken sind enorm groß. Der Staat muss jetzt ein Signal senden und sagen: Wir werden alles tun, um die Wirtschaft zu stützen.

Wie groß ist die Investitionslücke wirklich?

Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass die meisten Länder der Eurozone eine große Lücke haben. In Deutschland liegt sie bei 3,7 Prozent des BIPs. In der Eurozone insgesamt bei zwei Prozent, also fehlen rund 200 Milliarden Euro pro Jahr. Juncker will zwar 300 Milliarden investieren – aber über drei Jahre. Österreich hat bloß eine Lücke von 0,6 Prozent. Der größte Teil der Investitionen kommt dabei jetzt schon von den Privaten – nicht vom Staat.

Nur 0,6 Prozent Lücke in Österreich. Das klingt doch positiv?

Aber es ist immer noch eine Lücke.

Wenn die meisten Investitionen von den Privaten kommen – also von Unternehmen – was kann der Staat dann eigentlich tun?

Der Staat kann eine ganze Menge tun, um auch die Privaten zum Investieren zu bringen. Er muss nur auf die Beschwerden der Branchen und Wirtschaftsbereiche hören. Die einen beklagen sich über die Energiekosten – nicht unbedingt über die Höhe, sondern über die Unsicherheit hinsichtlich der weiteren Entwicklung in fünf oder zehn Jahren. Andere sagen, es mangelt an Fachkräften – oder dass die Steuern zu hoch sind und die Forschung unattraktiv machen. Wieder andere monieren eine schlechte digitale Infrastruktur. Es gibt eine ganze Palette an Faktoren, die die Politik beeinflussen kann.

Österreich will jetzt den Breitbandausbau forcieren.

Ja, aber ein großer Teil der Investitionen in digitale Infrastruktur sollten auch von Privaten aufgebracht werden. Man muss fragen, wie man für große Akteure wie die Telekom die richtigen Anreize setzen kann. Investitionen müssen sich auszahlen.

Können Private bei der Verkehrsinfrastruktur auch helfen?

Es gibt viele Länder, in denen das bereits getan wird. Wir sehen mit großem Interesse auf die Asfinag.

ZUR PERSON



Marcel Fratzscher (43)

ist seit 2012 Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. Wegen seines guten Verhältnisses zu Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nannte die „FAZ“ Fratzscher unlängst den „Chefökonomen“ der deutschen Regierung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

International

Investitionspaket: Junckers 300-Milliarden-Euro-Frage

Noch ist unklar, aus welchen Geldquellen das versprochene Investitionspaket gespeist wird. Am Freitag beraten Faymann, Gabriel und Valls in Wien.
G-20-Gipfel: Spionageangriff Russlands befürchtet
Außenpolitik

Russland verlegt Kriegsschiffe vor Australien

Vier russische Kriegsschiffe verbreiten derzeit am G-20-Gipfel Unruhe. Die Teilnehmer sollen gewarnt worden sein, dass ihre Telefone abgehört werden.
Leitartikel

Europas falsche Parole: Krieg dem Schlagloch, Friede dem Budgetloch

Der US-Finanzminister warnt vor einer „verlorenen Dekade“ für Europa. Zu Recht. Aber was er fordert, ist falsch – so wie Brüssels 300-Milliarden-Show.
Financial Stability Oversight Council Meets At The Treasury
International

US-Finanzminister warnt EU vor "verlorenem Jahrzehnt"

Die EZB habe viel unternommen, um das Wirtschaftwachstum zu stärken, so Jack Lew. Das sei aber noch nicht genug. Konkrete Schritte erwartet er sich vor allem von Deutschland.
Home

Coeure: Eurozonen-Wirtschaft könnte an Schwung verlieren

EZB werde Maßnahmen ergreifen, wenn die Gefahr bestehe, dass die Inflation zu lange zu niedrig bleibe, erklärt EZB-Direktor Coeure.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.