„Die Opec ist vom Markt verschwunden“

Plenary Session of 3rd National Oil and Gas Forum
Plenary Session of 3rd National Oil and Gas Forum(c) Stanislav Krasilnikov / Tass / picturedesk
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Es gibt in Russland niemanden, der länger im Ölgeschäft tätig ist als Vagit Alekperow. Einst Sowjet-Vizeölminister, führt der Multimilliardär heute den Ölkonzern Lukoil. Im Interview spricht er über schlechtes Analysieren und die Zukunft der Opec.

Die Presse: Versteh einer die Ölwelt! Da trafen sich am 17. April Vertreter von 16 Ölstaaten in Doha, um eine Deckelung der Förderung zu vereinbaren und so den Preis zu stützen. Das Treffen scheiterte, der Preis stieg dennoch. Hätte man auf das Treffen gleich verzichten können?

Vagit Alekperow: Ich habe vorige Woche auf einem Moskauer Ölforum gesagt, dass niemand einen Durchbruch in Doha erwartet hatte. Beratungen auf Ministerebene sind dennoch nötig.

Die Verbraucher hätten gern verstanden, was da auf dem Ölmarkt vor sich geht. Welche Kriterien unterschätzen wir? Oder worauf achten wir zu wenig?

Wir sehen die Tiefe des Eisbergs nicht. Wie etwa konnte es so weit kommen, dass der Preis (seit 2014)von 110 auf zwischenzeitlich 30 Dollar (je Barrel) gesunken ist?

Allgemeiner Einschätzung nach aufgrund der Überproduktion.

Aber vorher hat das kein einziger Analyst vorausgesagt. Die Prognosen nannten vielmehr 140 Dollar.

Die Analysten sind das Problem?

Nein. Das Problem ist, dass wir alle die Markttendenzen im Bereich des Energiekonsums ziemlich schlecht analysieren und erahnen. Es müssen die alternativen Energiequellen berücksichtigt werden, die vermehrt auftauchen. Auch die Atomkraftwerke. Schon sieht man, dass Elektroautos die Parameter der gewöhnlichen Autos erreichen.

Welche Faktoren soll man denn mehr berücksichtigen?

Dass sich neue Regionen der Öl- und Gasproduktion herausbilden.

Sie meinen die USA?

Die USA, Kanada, Brasilien. Diese Gegenden beeinflussen heute den Markt. Der Irak wird wieder zu einem großen Spieler. Und wir müssen konstatieren, dass das Kartell Opec vom Markt verschwunden ist. Seit 2008 erfüllt es die Regulierungsfunktion nicht mehr.

Weil die Opec nicht will?

Weil sie nicht kann. Zu stark sind die politischen Widersprüche zwischen den Mitgliedern. Zu unterschiedlich ihre Interessen.

Einer Meinung waren die Mitglieder auch früher nicht.

Stellen wir uns vor, wenn es früher nur eine einzige Explosion in der arabischen Welt gegeben hätte, wäre der Preis in astronomische Höhen geschnellt. Heute aber hat man Probleme im Jemen, in Syrien, Libyen, im Irak. Und der Ölpreis liegt dennoch tief. Die neuen Produktionsgegenden haben einfach größeren Einfluss auf den Markt. Und die Spekulanten auch.

Soll man sich von der Opec verabschieden?

Nein. Aber sie muss einfach reformiert werden. Und sie muss neue Hebel ausarbeiten, um Aktionen koordinieren zu können.

Bauen Sie künftig auf die Opec?

Nein. Wir denken, dass sie in ihrer heutigen Form die Möglichkeiten als Regulator ausgeschöpft hat. Wird die Opec reformiert, wird sie den Markt nicht direkt beeinflussen, sondern über jene Mechanismen, die diesen Einfluss begünstigen. Es geht um genaue Prognosen der Produktionsmenge, genaue Analysen des Verbrauchermarktes und der Investitionsvolumina. Ich denke, der Ölpreis wird gegen Jahresende bei 50 Dollar (derzeit gut 45) liegen. Warum? 2015 wurden 300 Mrd. Dollar, im heurigen ersten Quartal 50 Mrd. Dollar zu wenig investiert. Zusätzliche Bohrlöcher wurden nicht geschaffen.

So gesehen ist das geplante Opec-Treffen im Juni schon gar nicht mehr nötig, oder?

Im Gegenteil, gerade dieses Treffen kann den Anstoß zur Reformierung der Opec geben. Ich denke, dass das im Juni beginnt.

Im Groben kursieren zwei Theorien: Saudiarabien habe 2014 den Hahn aufgedreht, um entweder Marktanteile gegen die billige US-Konkurrenz zu verteidigen, oder um in Abstimmung mit den USA Russland in die Knie zu zwingen. Was denken Sie?

Dass heute alle arabischen Staaten angesichts der Situation, in der sich die Region befindet, Geld brauchen. Und zwar zur Aufrechterhaltung der Sicherheit. Um in so einer Situation zu Geld zu kommen, muss man mehr Öl fördern.

In Russland gehen die bisher tragenden Lagerstätten zur Neige, die Investitionen ölpreisbedingt zurück. Steht ein Produktionsrückgang im weltweit zweitgrößten Förderland bevor?

In nächster Zeit werden sich die historischen Investitionen auswirken, sodass die gesamtrussische Förderung 2016 plus/minus ein Prozent gegenüber 2015 betragen wird. 2017 prognostizieren wir einen leichten Rückgang. Und für danach eine Stabilisierung bei 525 bis 530 Millionen Tonnen Jahresförderung (2015 waren es 534 Mio. Tonnen). Alles wird von den Investitionsmöglichkeiten – also vom Steuersystem und der Höhe des Ölpreises – abhängen.

Wie spürt Russlands Ölsektor die westlichen Technologiesanktionen bei den Anlagen für schwer zugängliche Lagerstätten?

Es bremst natürlich die künftige Entwicklung.

Also ist die Situation kritisch?

Ja. Aber die gegenwärtigen Aktivitäten sind davon nicht betroffen.

Warum haben Sie schon in den 90er-Jahren Österreich als eines Ihrer Auslandszentren gewählt?

Es gab eine gute Kommunikation mit Wien. Dort hat sich bald ein Geschäftszentrum für Osteuropa etabliert. Es war dort angenehm zu arbeiten. Eine sehr loyale Gesetzgebung. Auch die Kosten für Büros waren in Wien weitaus günstiger als in anderen Städten Europas.

Zuletzt zogen Sie immer mehr Aktivitäten nach Wien und machten Wien zum Zentrum all Ihrer Auslandsaktivitäten. Warum? Und wie geht es weiter?

Wir koordinieren unsere Auslandstätigkeiten von Wien aus. Österreichs Gesetzgebung ist dafür förderlich. Nun produzieren wir auch in Österreich, haben eine Schmiermittelfabrik gekauft und umgebaut (sie wurde gestern in der Wiener Lobau eröffnet). Und wir haben eine direkte Verbindung für Tanker aus Wolgograd eingerichtet.

ZUR PERSON

Vagit Alekperow (65) ist Hauptaktionär und Chef von Russlands zweitgrößtem Ölkonzern Lukoil. Den Konzern gründete er 1991. Zuvor war Alekperow, der einer aserbaidschanischen Ölarbeiterfamilie entstammt, Vize-Ölminister der Sowjetunion. Auf der russischen „Forbes“-Liste belegt er mit einem Vermögen von geschätzten 8,9 Mrd. Dollar Platz neun.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2016)

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