Ukraine: Droht nach der Wahl der Staatsbankrott?

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Ende 2009 haben ukrainische Konsumenten, Unternehmen und der Staat 90 Mrd. Dollar oder 80 Prozent des BIPS an Auslandsschulden angehäuft. Wie wirkt sich die Wirtschaftsmisere schon heute auf Österreichs Firmen aus?

Wien/Moskau. Wollen Sie den nächsten Präsidenten der Ukraine am Sonntag mitbestimmen? Für 300 bis 500 Griwna (etwa 26 bis 43 Euro) bieten Bürger des Landes ihre Stimme im Internet zum Kauf an. Allzu stark dürfte ihr Glaube in die Demokratie nicht sein. Verdenken kann man es ihnen nicht. Schließlich veranlasste die politische Chaosblockade im Wahlkampf selbst den Internationalen Währungsfonds (IWF) dazu, eine weitere Teilzahlung des 16,4 Mrd. Dollar schweren Notkredits vorerst nicht an Kiew zu überweisen. Bevor die Wahlen geschlagen sind, will IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn daran auch nichts ändern. Dabei wäre die nächste Kredittranche für die Ukraine bitter nötig, wird das Land international doch längst als nächster Pleitekandidat gehandelt.

Jeder zweite Kredit könnte wackeln

Doch wie wahrscheinlich ist ein derartiges Szenario? Das Land, wirtschaftlich einseitig vom Metall- und Chemiesektor abhängig, wurde von der Krise hart getroffen. 2009 wird das Bruttoinlandsprodukt vermutlich um rund zwölf Prozent sinken. Besonders schwer wiegt die Abwertung der Landeswährung Griwna, die seit Herbst 2008 rund 80 Prozent gegenüber dem Dollar an Wert verloren hat – zusammen mit der hohen Verschuldung des Landes eine recht explosive Mischung. Ende 2009 haben ukrainische Konsumenten, Unternehmen und der Staat 90 Mrd. Dollar (62,4 Mrd. Euro) an Auslandsschulden angehäuft (28 Mrd. Dollar davon sind staatliche Schulden). Das entspricht 80 Prozent des BIPs oder eineinhalb Mal so viel, wie das Land exportiert. Dem gegenüber stehen immerhin Devisenreserven von 27 Mrd. Dollar. Heikel ist die Lage aber allemal.

Vladimir Dubrovskiy vom Zentrum für soziale und ökonomische Forschungen (CASE) in Kiew glaubt dennoch nicht an ein Pleiteszenario. Die Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit sei schon zum Zeitpunkt der IWF-Kreditvergabe aufgebauscht gewesen. „Aber selbst jetzt, da die Schulden zugenommen haben, sind wir weit von einem Crash entfernt. Das größte Problem der Ukraine im nächsten Jahr sind nicht die Auslandsschulden“, sagt er. „Das Problem sind vielmehr das Budget und die faulen Kredite.“ 70 Mrd. Dollar schulden ukrainische Unternehmen – vor allem die Banken – ihren Gläubigern. Die Zentralbank beziffert die fälligen Schulden für 2010 mit 20 Mrd. Dollar, davon 18 Mrd. Dollar Unternehmensschulden. Geschätzte 20 bis 50 Prozent davon könnten ausfallen.

Das trifft auch österreichische Unternehmen im Land, allen voran die Raiffeisen Zentralbank. Ihre Tochterbank Aval stellt mit einer Bilanzsumme von 5,4 Mrd. Euro und 4,8 Mio. Kunden das zweitgrößte Kreditinstitut des Landes. Seit September 2008 stieg der Anteil der notleidenden Kredite in der Bank von 3,9 Prozent auf 20,8 Prozent. 525 Dollar an Kapitalspritzen benötigte die Aval im Vorjahr, um auf den Beinen zu bleiben.

Trotz der wirtschaftlich angespannten Lage blieb der Rückzug österreichischer Firmen aus dem Land aus. Unternehmen wie Agrana, Mayr-Melnhof, Blizzard oder Fischer bleiben, steigen in Sachen Expansion aber kräftig auf die Bremse. Neue Großinvestitionen waren 2009 Mangelware.

„Hier wird Geld zur Seite geschafft“

Unter der Zahlungsschwäche der ukrainischen Firmen leiden aber vor allem auch Österreichs Exporteure. Die Griwna-Abwertung verteuerte ihre Produkte in nur einem Jahr um 70 Prozent. Das Volumen der Ausfuhren halbierte sich bis Oktober 2009 auf 408 Mio. Euro. Die OeKB Versicherung, die Exportgeschäfte österreichischer Firmen absichert, klagt über „massive Schadensfälle“. Bei jeder vierten offenen Forderung aus der Ukraine gebe es Zahlungsverzögerungen, sagt Karolina Offterdinger, Vorstand der OeKB Versicherung, zur „Presse“. Üblich sei ein Wert von zwei Prozent. Und das, obwohl bereits mehr als die Hälfte der Anfragen von der Versicherung abgelehnt werden. „Es ist eine Situation, wie ich sie aus keinem zweiten Land kenne“, sagt Offterdinger. Viele Firmen könnten tatsächlich nicht bezahlen, bei anderen „wird Geld zum Teil zur Seite geschafft“. Etliche an sich potente Firmen hätten plötzlich nicht bezahlt. Sie vermutet hinter den meisten größeren Schadensfällen keine Insolvenzen, sondern Gaunereien.

Gregor Postl, Handelsdelegierter in Kiew, schwächt gegenüber der „Presse“ etwas ab: Manche ukrainische Firma würde die Situation nutzen, um Zahlungen nach hinten zu verschieben. „Bei größeren Summen ist es kein Fehler, sich ins Flugzeug zu setzen und vor Ort darüber zu sprechen“, empfiehlt er. Denn das Geld vor Gericht einzufordern sei immer noch schwierig.

AUF EINEN BLICK

Die schwache Landeswährung und die hohe Auslandsverschuldung der Ukraine stellen das Land vor ernste Probleme. Politisches Chaos zwingt selbst den IWF zum kurzzeitigen Rückzug. Der wirtschaftliche Absturz trifft auch Österreichs Firmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2010)

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