Alte „DDR-Ideen“ geistern durch Deutschland

Robert Habeck kann sich Enteignungen vorstellen.
Robert Habeck kann sich Enteignungen vorstellen. imago images / Metodi Popow
  • Drucken

Der neue Hoffnungsträger der deutschen Grünen, Robert Habeck, kann sich notfalls Enteignungen vorstellen. Damit erreicht die Enteignungsdebatte in der Hauptstadt Berlin die Bundespolitik. Die Aufregung ist groß.

Berlin. Der Verkehr rauscht auf insgesamt sechs Spuren über die Frankfurter Allee in Berlin, die bis 1961 Stalinallee hieß. Die 77-jährige Rentnerin Ingrid wohnte schon damals in der Gegend rund um den DDR-Boulevard. Sie erinnert sich noch an „Aufbausonntage“ nach dem Krieg, als Männer wie ihr Vater in der Freizeit die Ruinen abtrugen, Neues errichteten.

Ingrid ist eine höfliche Frau, aber diese „eine Schweinerei“ aus den 2000er-Jahren bringt sie in Rage: Damals verkaufte die rot-rote Stadtregierung Zigtausende kommunale Wohnungen „für'n Appel und 'n Ei“, also sehr billig, an Investoren. „Schutzlos“ habe man die Mieter ausgeliefert, klagt die Rentnerin. Die Initiatoren eines Volksbegehrens wollen diese Wohnungen nun der privaten Hand wieder entreißen. Im Visier sind alle großen „Miethaie“ mit mehr als 3000 Wohnungen in der Stadt. Sie sollen enteignet werden. Das Wort „Enteignen“ irritiert Ingrid zwar. Aber als letztes Mittel könnte sie sich das vorstellen, sagt sie.

„Überflüssig wie ein Kropf“

So ähnlich wie die Rentnerin sieht das auch Grünen-Chef Robert Habeck, jedenfalls mit Blick auf Grund und Boden. „Wenn die Eigentümer weder bauen noch an die Stadt verkaufen wollen, muss notfalls die Enteignung folgen“, sagte er der „Welt am Sonntag“. Der Satz schlug ein. Er katapultierte die Berliner Enteignungsdebatte in die Bundespolitik. Die Konkurrenz stürzte sich auf Habeck, den politischen Shootingstar und Talkshow-König, der die Grünen in Umfragen zu 20 Prozent führte. Die Grünen lassen ihre „bürgerliche Maske“ fallen, ätzte FDP-Chef Christian Lindner. Er warnte vor „DDR-Ideen“.

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak zeigte sich „fassungslos“. Bei der Partei von Habeck handle es sich weiterhin um die „alten Grünen“ mit Konzepten aus der Mottenkiste, sagte er. Ziemiak spielte dabei auch auf den erneuerten grünen Vorschlag an, ab 2030 keine Verbrennungsmotoren mehr neu zuzulassen.

Die SPD gab in der Enteignungsdebatte indes kein einheitliches Bild ab. Seit Monaten wildern die Grünen schonungslos in ihrer Wählerschaft. Nun stiftet Habeck wieder Unruhe. SPD-Chefin Andrea Nahles hat Enteignungen eigentlich ausgeschlossen. Die Linie der geschwächten Vorsitzenden wurde prompt von SPD-Vizechef Ralf Stegner konterkariert, der Enteignungen als letztes Mittel, „als Notwehrrecht“, für richtig hält. Und die Chefin der Linkspartei, Katja Kipping, redet neuerdings nicht nur von Enteignungen, sondern auch von „Beschlagnahmungen“.

So rechtlich umstritten das sein mag: Die Debatte trifft einen Nerv. Die Initiatoren des am Wochenende gestarteten Volksbegehrens müssen zunächst 20.000 Unterschriften sammeln. Sechs Monate haben sie dafür Zeit. Sie werden sie nicht brauchen. Am Tag drei zählte man bereits 15.000 Unterstützer.

Rentnerin Ingrid überlegt übrigens noch, ob sie unterschreibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Berlin 06 04 2019 Unter dem Motto Mietenwahnsinn widersetzen demonstrierten zehntausende Menschen
International

Enteignungs-Volksbegehren in Berlin erregt die Gemüter

Berliner sammeln Unterschriften, um große Wohnungsunternehmen zu enteignen. Die CSU sieht eine „schwachsinnige Debatte von vorgestern", ein SPD-Vizechef hält Enteignungen für die „Notwehrrecht“ des Staates.
Ab heute, Samstag, werden in der deutschen Hauptstadt Unterschriften für das Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ gesammelt.
International

Deutschland: Die Mission „Enteignen“ startet

Wegen des „Mietenwahnsinns“ will eine Initiative in Berlin die größten Immobilienkonzerne „vergesellschaften“. Heute startet das Volksbegehren. Vier Fragen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.