Weltbank warnt vor Hungerkrise

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Die Zahl hungernder Menschen ist seit Juni um 44 Millionen gestiegen. Schuld sind die steigenden Preise für Lebensmittel. Besorgniserregend seien vor allem die Preise für Weizen und Mais.

Wien. Verschiedene Zahlenspiele geistern seit Wochen durch die Medien, spätestens seit gestern, Dienstag, ist es offiziell: Die steigenden Preise für Lebensmittel treiben immer mehr Menschen in den Hunger. Der Weltbank-Studie „Food Price Watch“ zufolge nahm die Zahl der „extrem Armen“ seit Juni 2010 um 44 Millionen zu. „Die Lebensmittelpreise erreichen gefährliche Sphären“, warnt Weltbank-Chef Robert Zoellick.

Besorgniserregend seien vor allem die Preise für Weizen und Mais, teilte die Organisation mit. Weizen, in vielen Ländern Zentralasiens das Hauptnahrungsmittel, kostet im Vergleich zum Sommer nahezu doppelt so viel. Mais ist um 73 Prozent teurer, auch die Preise für Kaffee, Sojabohnen und Zucker steigen seit Monaten stetig an.

Reis verhindert noch Schlimmeres

Die enorme Teuerung veranlasst die Weltbank, vor einer ernsten Hungerkrise zu warnen. Die durchschnittlichen Lebensmittelpreise seien nur noch drei Prozent von den Höchstständen aus 2008 entfernt. Damals ging weltweit die Angst vor einer Eskalation der Situation um. In vielen Ländern, etwa Tunesien, Mozambique oder Haiti kam es zu Ausschreitungen, weil sich die hungernde Bevölkerung das Essen nicht mehr leisten konnte.

So dramatisch sei die Lage derzeit noch nicht, gibt die Weltbank Entwarnung. Das liege vor allem an der moderaten Teuerung von Reis, die noch im einstelligen Prozentbereich liegt. In vielen bevölkerungsreichen Staaten ist Reis das Hauptnahrungsmittel. Von einer Knappheit in der Produktion ist keine Rede. Der zweite Grund, warum die Gefahr von Ausschreitungen derzeit noch deutlich niedriger ist als 2008: Während in Asien viele Menschen unter den teureren Speisen leiden, blieb Afrika bislang verhältnismäßig verschont.

Dort sind die Lager noch voll. Kleinbauern, die vor allem für den eigenen Bedarf produzieren, kommt die erfreuliche Witterung der vergangenen Monate zugute. Ganz im Gegensatz zu China, wo eine anhaltende Dürre in mehreren Regionen zwei Drittel des Weizenanbaus gefährdet. China ist der größte Produzent von Weizen weltweit. Ein weiterer Preisanstieg gilt deshalb als so gut wie sicher. Darunter leiden beispielsweise Länder wie Pakistan oder Tadschikistan, die einen Teil ihres Weizens importieren.

Bereits seit Monaten warnen Ökonomen, dass die größten Notenbanken – allen voran die amerikanische Fed – mit ihrer Geldschwemme für den Preisanstieg mitverantwortlich seien. Die US-Zentralbank kauft aktuell Staatsanleihen im Wert von 600 Mrd. Dollar (444 Mrd. Euro). Damit soll die schwache Konjunktur angekurbelt werden. Der Nachteil: Die Aktion erhöht die Liquidität am Markt und somit die Nachfrage nach Gütern, was wiederum Preise weltweit ansteigen lässt.

Die Industrienationen spüren noch relativ wenig davon. Im Euroraum liegt die Inflation bei 2,4Prozent, in den USA bei unter zwei Prozent. Die Investoren trauen der Erholung der Konjunktur in den Industrienationen nicht so recht, sie stecken ihr Geld vermehrt in Schwellenländer. Dort steigen die Preise, in China und Brasilien etwa um mehr als fünf Prozent. Über kurz oder lang könnten dem Euroraum ähnliche Teuerungsraten drohen, glauben Experten.

Beten um stabiles Wetter

Die Ernährungsorganisation FAO der UNO schätzt, dass weltweit knapp mehr als eine Milliarde Menschen an Hunger leiden, die Weltbank geht von 1,3 Milliarden Menschen aus. Und die Organisation schickt gleich eine weitere Warnung aus: Entwickelt sich die Witterung in Afrika ähnlich ungünstig wie derzeit in China, könnten im kommenden halben Jahr deutlich mehr als 44 Millionen Menschen hinzukommen.

Auf einen Blick

Lebensmittelpreise steigen seit Monaten sehr stark an: Weizen ist doppelt so teuer wie im Juni, Mais um 73 Prozent. Die Schuldfrage ist kompliziert: Notenbanken spielen eine Rolle, weil sie den Markt mit Liquidität überhäufen. Biosprit trägt zur Teuerung bei, weil er aus Getreide gewonnen wird. Dazu kommen die ungünstige Witterung und Spekulanten, die die Trends verstärken. Die Zahl der an Hunger Leidenden ist deshalb seit Juni um 44 Millionen gestiegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2011)

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