Die Bank of Japan pumpt 15 Billionen Yen in den Finanzmarkt, um den Wiederaufbau anzukurbeln. Zudem wurde der Rahmen für Wertpapieraufkäufe um fünf Billionen Yen aufgestockt. Steuern sollen nicht erhöht werden.
Tokio/Wien. Sparen? Schulden reduzieren? In einem Land, das nach einem Mega-Erdbeben und einem Tsunami auf eine Atomkatastrophe zusteuert, herrschen andere Regeln. Da gilt es in erster Linie das geschundene Land zu stärken, die Wirtschaft am Laufen zu halten und das Vertrauen der Menschen und der Finanzmärkte wiederherzustellen. Deshalb hat die Bank of Japan Montagfrüh nicht lange gefackelt und den Geldhahn weit aufgedreht: 15 Billionen Yen (132 Milliarden Euro) stellt die Notenbank den Finanzinstituten als Notfall-Geldspritze zur Verfügung. Zudem wurde der Rahmen für Wertpapieraufkäufe um fünf Billionen Yen auf 40 Billionen aufgestockt.
Vier Tage nach der Katastrophe wird nicht nur das Ausmaß der Verwüstung deutlich. Auch die Einschätzung der Ökonomen gewinnt zumindest etwas an Präzision. Die Zentralbank geht davon aus, dass die Produktion für einige Zeit schrumpfen werde, zumal nicht nur in den zerstörten Fabriken die Räder still stehen. Die geplanten Stromabschaltungen, die sich über mehrere Wochen ziehen dürften, legen auch intakte Werke vorübergehend lahm. Weil auch die Infrastruktur – etwa sechs Häfen – beschädigt ist, fehlen Transportmöglichkeiten. Auch die Kommunikation ist unterbrochen. Betroffen sind alle Industriezweige, vor allem die Automobilindustrie (siehe unten stehender Bericht).
Globale Lieferkette unterbrochen
Erschwerend kommt hinzu, dass eine Verlagerung der Produktion auf Fabriken im Ausland nur begrenzt möglich ist. Denn auch jene Zulieferer, die Chips, Werkzeuge oder Motorteile produzieren, arbeiten nicht. Damit ist vorübergehend die Lieferkette rund um den Globus unterbrochen.
„Auf Sicht von zwei bis drei Monaten dürfte es einen deutlichen Rückgang der japanischen Wirtschaftsleistung geben“, sagt UniCredit-Volkswirt Andreas Rees. Ähnlich denkt Commerzbank-Ökonom Wolfgang Leim: „Im ersten Quartal könnte die Wirtschaftsleistung nochmals leicht schrumpfen.“ Schon im vierten Quartal 2010 ist das japanische Bruttoinlandsprodukt (BIP) – gegen den weltweiten Trend der Erholung – um 1,2 Prozent gefallen.
„Die wirtschaftlichen Folgen scheinen größer zu sein, als wir noch am Freitag angenommen haben“, muss Moody's-Experte Tom Byrne einräumen. Rees geht davon aus, dass die Kosten diesmal auch deutlich höher liegen werden als in Kobe, wo ein Erdbeben 1995 rund 100 Milliarden Dollar an Schäden verursacht hat. Die Experten von Nomura sind der Meinung, dass die konjunkturelle Erholung um sechs Monate zurückgeworfen ist.
Die Bemühungen Japans, den ohnedies schon gigantischen Schuldenberg, der mit 218 Prozent mehr als das Doppelte der Wirtschaftsleistung erreicht hat, abzubauen, sind jedenfalls zur Sisyphusarbeit geworden. „Die hohe Verschuldung birgt schon lange die Gefahr, dass Anleger das Vertrauen in die Regierung verlieren und für Investitionen in japanische Staatsanleihen höhere Zinsen verlangen“, schreibt Byrne in einer ersten Analyse. Die Katastrophe „könnte diesen kritischen Punkt ein wenig nach vorne geschoben haben“. Moody's hat wegen der hohen Schulden schon vor Wochen eine Überprüfung der Bonitätsnote „AA2“ angekündigt. Standard & Poor's hat Japan bereits im Jänner auf „AA-“ herabgestuft. Vorerst sieht S&P keinen Änderungsbedarf. Solange es nicht zu einem langfristigen Schaden auf gesamtwirtschaftlicher Ebene komme, bewege man sich im Rahmen des aktuellen Ratings, heißt es.
Geld ist billig
Ein schlechtes Rating verteuert eigentlich die Geldaufnahme. Anders als Griechenland und andere hoch verschuldete Eurostaaten ist Japan aber weitgehend unabhängig von ausländischen Gläubigern. Die sparsamen Japaner und Pensionsfonds halten das Gros der Staatsanleihen. Und, was derzeit besonders wichtig ist, die Anleger haben weiter Vertrauen in die Papiere. Das zeigt sich daran, dass die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen am Montag sogar noch gefallen ist – auf 1,2 Prozent.
Marcus Scheiblecker vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) weist außerdem darauf hin, dass der quasi bei Null liegende Zinssatz die Refinanzierungskosten niedrig halte. Mit dem Geld, das die Notenbank jetzt in den Markt pumpt, würden wohl wieder Staatsanleihen gekauft – diese Mittel würden in den Wiederaufbau fließen. Dieser würde zwar die Produktion beleben, nicht aber den Wohlstand steigern, gibt Scheiblecker zu bedenken.
Der Weltwirtschaft dürfte das Desaster in Japan einen „leichten Dämpfer“ versetzen, ein Rückfall in die globale Rezession sei nicht zu befürchten, versucht Scheiblecker zu beruhigen. So sieht das auch der Chef der deutschen Wirtschaftsweisen, Wolfgang Franz, der Steuererhöhungen jetzt für sinnvoll erachtet. Nachsatz: In einer Zeit, in der Nordafrika von Unruhen erschüttert werde, die US-Wirtschaft fragil sei und Europa gegen die Schuldenkrise kämpfe, seien Prognosen unsicher. Also doch keine echte Entwarnung.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2011)