Reiche Reeder: Athen am Boden, Party an Bord

Reiche Reeder Athen Boden
Reiche Reeder Athen Boden(c) EPA
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Griechenland ist fast bankrott. Aber seine reichen Reeder beherrschen mehr denn je die Weltmeere. Im Kielwasser von Vorbild Onassis schalten sie just in der Krise auf volle Fahrt voraus.

Ari war ein echtes Ekel, sexuell hyperaktiv und von erlesen schlechtem Geschmack. Er hielt in Bordellen Hof und verprügelte seine Frau. Er machte die Callas zu seiner Mätresse und gewöhnte ihr so das Singen ab. Jacky Kennedy verstieß er aus Geiz. Dafür fütterte er Churchill mit Kaviar und bespannte die Barhocker seiner Jacht mit der Vorhaut von Walgemächten. Niemand protzte und prahlte so penetrant mit seinem Reichtum wie der Reeder Aristoteles Sokrates Homer Onassis.

Seine Namenspatrone im Olymp der Dichter und Denker müssen die Nase über ihn gerümpft haben. Seit 1975 thront der Tanker-Mogul freilich selbst auf einem Olymp: dem der griechischen Unternehmer. Denn für die hellenischen Reeder unserer Tage ist der Parvenu mit dem zwergenhaften Wuchs immer noch der Allergrößte.

Aber auch wenn seine Nachfolger weniger derben Glamour an den Tag legen: An geschäftstüchtiger Schläue stehen sie ihrem Vorbild kaum nach. In einem Land, das kurz vor dem Bankrott steht, das kein Geschäftsmodell hat und in dem scheinbar nichts mehr richtig funktioniert, halten sie Kurs auf einem stürmischen Markt – und segeln der weltweiten Konkurrenz davon.

Die Handelsflotte der Griechen ist die wichtigste der Welt: 16 Prozent der Tonnagen stehen unter hellenischer Kontrolle. Allein die Japaner können ihr fast das Wasser reichen. Die Flotten Chinas und Deutschlands, die im Ranking folgen, sind nur etwa halb so groß. Der Gütertransport auf hoher See ist nach dem Tourismus der zweitgrößte Wirtschaftszweig des strukturschwächsten Mitglieds der Eurozone.

Der Wind dreht sich. Die Reeder lassen sich von der Dauerrezession und den Nöten des Staates nicht erschüttern. Ihr Geschäft findet auf allen sieben Meeren statt, ihre Kunden sind über den Erdball verteilt. Der kurze, aber massive Einbruch des Welthandels in der globalen Krise bescherte auch ihnen rote Zahlen, aber angesichts hoher Reserven gerieten sie nicht in Seenot.

Die Schiffseigner wissen: Der Wind dreht sich wieder, denn die Großwetterlage ist für ihr Business so gut wie nie zuvor. Durch den rasanten Aufstieg der asiatischen Schwellenländer China und Indien hat der lange stagnierende Seehandel einen gewaltigen Schub erlebt: In den letzten sechs Jahren stieg das Volumen um fast die Hälfte.

Deshalb rüsteten die Griechen gerade in der kurzen Flaute auf. Schon 2009 nutzten sie die um zwei Drittel eingebrochenen Preise und stockten ihren Bestand an Tankern, Schüttgutfrachtern und Containerschiffen höchst günstig um zehn Prozent auf. Im Vorjahr war es noch deutlich mehr. Den Trick des antizyklischen Investierens kennen die Griechen gut. Gelernt haben sie ihn bei Onassis. 60 Dollar hatte Ari in der Tasche, als er als Minderjähriger vor dem türkisch-griechischen Krieg nach Buenos Aires floh. Sein Startkapital für Investitionen erarbeitete er sich mit Orienttabak, den er nach Argentinien importierte und der mild genug für zarte Frauengaumen war. Damit kaufte der Abenteurer seine ersten sechs Frachter – 1931, mitten in der Weltwirtschaftskrise, aus der Konkursmasse einer kanadischen Reederei und zu einem Zehntel des wahren Werts.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Onassis bereits ein gemachter Mann. Sein Trick aber machte Schule unter griechischen Reedern. Die USA hatten überzählige Kriegsschiffe, die sie zu Spottpreisen für zivile Zwecke abverkauften. Auch die Herren Niarchos und Latsis griffen gierig zu. Damit begründeten sie die legendären Vermögen ihrer Familien. Besonders Stavros Niarchos wurde zu Aris Rivalen. Die beiden konkurrierten um Frauen und die Länge ihrer Luxusjachten. Ihrer aller Kindeskinder sind heute sagenhaft reich, küssen Paris Hilton und gehören zum Inventar der Klatschspalten.

Neue Ufer. Seit Ende der Sechzigerjahre ist Griechenland Weltmarktführer in der Trampschifffahrt (das ist jener Teil des Seeverkehrs, der ohne fixe Fahrpläne und feste Routen auskommt). Onassis expandierte zu dieser Zeit längst auch zu Lande und in der Luft, kaufte von der griechischen Regierung die späteren Olympic Airways und von Fürst Rainier halb Monaco.

Die Tycoons von heute heißen Restis, Laskaridis und Tsakos (lauter Männer, die raue Macho-Branche scheint Frauen gänzlich verschlossen zu sein). Jeder von ihnen hat um einige hundert Schiffe mehr als die Krösusse von einst. Aber auch Aris Nachfolger kennen die Welt jenseits der Häfen: Sie investieren in Werften, Raffinieren und – zur leichteren Finanzierung ihrer hochfliegenden Pläne – in Banken.

Stelios Haji-Ioannou gründete die Billigfluglinie Easyjet. Das Sinken seines Öltankers Haven vor der Küste Genuas 1991 bescherte dem Mittelmeer seine bisher schwerste Ölpest und dem Reeder schlechte Presse. Das hinderte die britische Queen nicht daran, ihn vor fünf Jahren zum Ritter zu schlagen.

George Economou hingegen macht in Immobilien und Kunst. Der Milliardär baut gerade eine der bedeutenden Sammlungen der klassischen Moderne auf. Als Geschäftspartner des jungen österreichischen Investors René Benko beteiligte er sich am Kauf der Zentralen von Länderbank und Bawag in Wien sowie jüngst beim Kaufhaus Tyrol in Innsbruck.

Unter fremder Flagge. Ein wenig kurieren all diese internationalen Erfolge auch den schwer angeschlagenen Nationalstolz des kleinen Griechen von der Straße. Aber handfeste Vorteile bringen sie ihm weniger. Nur auf 31 Prozent der griechischen Schiffe flattert die blau-weiße Fahne. Der Rest navigiert unter fremder Fahne. Vor allem die Register von Panama, Malta und Liberia sind voll von griechischen Frachtern. Diese Billigflaggenländer bieten niedrige Steuern, günstige Kollektivverträge, geringere Lohnnebenkosten und weniger strenge Standards.

Freilich ist das Phänomen des Ausflaggens weder neu noch auf Griechenland beschränkt. Um zu retten, was zu retten ist, bieten heute alle maritimen Staaten Europas ihren Reedern Zweitregistrierungen an. Dadurch können sie auch unter heimatlicher Flagge mehr ausländische Matrosen zu günstigen Konditionen anheuern. So wurde die „Fahnenflucht“ gestoppt, aber nicht rückgängig gemacht. Die Reeder beteuern, dass sie gar nicht anders können: Ihnen fehlen die inländischen Kapitäne und Offiziere. Das Leben auf hoher See, fern von Partner und Party, hat in der ersten Welt seine Anziehungskraft verloren.

Vielleicht wird die wirtschaftliche Dauerkrise wieder mehr Griechen in Seebären verwandeln.Schon jetzt ist der Anteil der Schiffe mit eigener Flagge deutlich höher als in Japan oder Deutschland. Allerdings sind die Einkünfte des Staates aus den Gewinnen beschränkt. Denn die griechischen Reedereien zahlen nur eine Tonnage-Abgabe, von der eigentlichen Unternehmenssteuer sind sie befreit. Auch die Krisenzusatzsteuer für hoch profitable Firmen haben sie bisher geschickt abgewehrt. Der Fiskus weiß: Macht er Druck, pflanzen die Reeder wieder flugs ein fremdes Fähnchen auf.

Die wenigen Werften führen fast nur Reparaturen durch. Die Aufträge für neue Tanker und Bulker gehen meist nach China. Trotz allem: Der volkswirtschaftliche Segen der Schifffahrt ist unbestritten. 160.000 Griechen finden im maritimen Umfeld Arbeit, über vier Prozent der Beschäftigten.

Und sie haben einen Job mit Zukunft – was die 40 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Sektor nicht von sich sagen können. Wohl deshalb sehen es die zornigen Griechen so gelassen, dass ihre Starunternehmer zu Hause auch keine privaten Steuern zahlen. Ihr Vermögen haben sie längst nach Zypern oder in die Schweiz gerettet. Ihre Residenzen stehen eher am Ufer des Genfer Sees als an den Gestaden der Ägäis. Dennoch richtet sich der Zorn der Demonstranten bisher fast nur gegen die Regierung und nicht gegen reiche Reeder. Vielleicht haben sie ja auch den Stoßseufzer des alten Schlitzohrs Onassis noch im Ohr: „Ein reicher Mann ist oft nur ein armer Mann mit sehr viel Geld.“

Des Ekels eifrige Erben

Aristoteles Onassis begründete in den 30er-Jahren den Ruhm der griechischen Reeder. Sein Erfolgsgeheimnis: Kontakte aufbauen und in der Krise antizyklisch investieren.

Seine Nachfolger heißen Restis, Laskaridis und Tsakos. Die globale Flaute nutzten sie, um ihre Flotte billig aufzurüsten.

Die Handelsschifffahrt ist zur Zeit der einzige florierende Sektor der griechischen Wirtschaft. Er beschäftigt vier Prozent der arbeitenden Bevölkerung, ist aber fast steuerbefreit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2011)

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