Keiner fliegt mehr zu Don Quijote

(c) Dapd (Sascha Schuermann)
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Der Geisterflughafen der kleinen Stadt Ciudad Real in Spanien hat den Dienst eingestellt. Das Milliardengrab wurde zum Symbol für den Größenwahn spanischer Provinzfürsten. Einst als Investor mit an Bord: der Flughafen Wien.

Viel ist nicht los in Ciudad Real. Das spanische Provinzstädtchen mit seinen 74.000 Einwohnern liegt recht verloren in der Mancha. Keine Strände, keine Sehenswürdigkeiten, keine Großstadt in der Nähe. Ringsum nur eine herbstlich dürre, menschenleere Hochebene, über die der Wind pfeift. Er treibt die Windmühlen an, gegen die einst Cervantes seinen Don Quijote kämpfen ließ. Der Ritter von der traurigen Gestalt wurde angetrieben von wirren Träumen, mangelndem Realitätssinn und Größenwahn. Und „Don Quijote“ nannte sich früher, durchaus treffend, auch der Flughafen von Ciudad Real.

Aus einer kleinen Anlage für Privatflieger und Transporte sollte dort nach dem Willen von Provinzpolitikern, Bauunternehmern und der regionalen Sparkasse ein Airport der Superlative werden: ausgelegt auf bis zu zehn Millionen Passagiere pro Jahr (mit zweieinhalb Millionen wurde vorerst gerechnet), versehen mit einer der längsten Landebahnen in Europa (4,2 Kilometer) und als Arbeitgeber für 20.000 Menschen. Eine tolle Sache für eine Region im Abseits, deren Arbeitslosenrate eine der höchsten des Landes ist.

Das Personal als Kunde. Heute, kaum drei Jahre nach der Eröffnung, ist die Betreibergesellschaft in Konkurs. Gerade einmal 33.000 Passagiere rollten im Vorjahr ihre Koffer durch den viel zu großen Terminal. Zuletzt ist es dort an den meisten Tagen gespenstisch still. Nur die Schritte der letzten Angestellten hallen durch diese Kathedrale der Verschwendungssucht. Sie vertreiben sich, als einzige Gäste, die Zeit in der Cafeteria. Vor einigen Tagen ist das letzte kommerzielle Passagierflugzeug von diesem Geisterflughafen aus in die Lüfte gestiegen. Damit wurden zugleich 1,1 Milliarden Euro, zusammen mit dem Beton der Piste, für immer in den trockenen Boden der Meseta versenkt. Ein Begräbnis letzter Klasse und ohne Publikum.

Ganz anders als am 20. Dezember 2008, als das erste Passagierflugzeug landete, eine kleine Propellermaschine aus Barcelona mit 15 Passagieren an Bord. Auf der Landebahn warteten wesentlich mehr euphorisierte Politiker und Projektbetreiber, um die Gäste aus der Ferne in Empfang zu nehmen. Das ergab ein schönes Gruppenfoto – und war zugleich ein verdächtiges Omen, das niemand erkennen wollte.

Mehr Staat als privat. Waren die Investoren blind? Es stand wohl ein Businessplan hinter ihrem kühnen Projekt, aber ein viel zu vager: Der Riesenflughafen von Madrid, wenige Kilometer vom Zentrum im Vorort Barajas gelegen, galt als chronisch überlastet. Ciudad Real liegt zwar 235 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, mit dem Auto braucht man für die Strecke drei Stunden. Aber die Stadt liegt auch an der Strecke Madrid–Sevilla des Superschnellzugs AVE. Wenn man seine Trasse ändert, so die Idee, und einen zusätzlichen Bahnhof draußen beim Flughafen baut, hätte man einen flotten Anschluss an die Metropole.

Grund genug für einen neuen Namen: „Don Quijote“ sollte „Madrid Süd“ weichen. Nur wurde der Bahnhof nie gebaut. Stattdessen errichtete man in Barajas einen zusätzlichen Terminal und wurde so den Engpass los – was in jedem Sinn viel näher lag. Der solcherart völlig unnötige Flughafen in Ciudad Real wurde auf „Aeropuerto Central“ umgetauft, vielleicht deshalb, weil er in der Mitte von Nirgendwo liegt.

Bei seiner Eröffnung wurde das Projekt als „erster privater Flughafen Spaniens“ gefeiert. Privat war er freilich nur auf dem Papier des Handelsregisters. Als größter Aktionär fungierte mit 35 Prozent die Caja Castilla-La Mancha, eine regionale Sparkasse unter politischer Kontrolle. Im Aufsichtsrat saßen Vertreter aller Parteien. Die Bank stellte zusätzlich Kredite über ein Viertel der Investitionen. Der Rest des Kapitals kam von lokalen Bauunternehmern, die das Geld dafür oft als Kredit bekamen – von der Caja, versteht sich.

Die Unternehmer konnten die Politiker, mit denen sie eng verbunden waren, schnell begeistern. Einige schafften es sogar, sich eine goldene Nase zu verdienen: dank der Aufträge, die sie selbst für den Bau erhielten – ein schöner Kreislauf. Die Sparkasse ist freilich längst in schwere Turbulenzen geraten. Sie wurde unter Zwangsverwaltung der Nationalbank gestellt und mit einer größeren Caja fusioniert, um ihr Überleben vorläufig zu sichern.

Anfangs hob nur die Iberia-Regionallinie Air Nostrum vom „Aeropuerto Central“ab. Erst als sich das Debakel abzeichnete, kamen die Billigfluglinien Air Berlin, Ryanair und zuletzt Vueling, nutzen die peinliche Lage der Politiker, kassierten üppige Subventionen und zogen von dannen, als sich die Auslastung als so karg erwies wie die kastilische Steppe. Immerhin konnten so eine Zeitlang einige Erben von Sancho Panza in London und Paris den Duft der großen weiten Welt schnuppern.

Ein Wiener Lieblingsprojekt. Das Projekt war freilich schon in der Planungsphase ein Sorgenkind. Viele Jahre stritt sich die Region mit der Zentralverwaltung in Madrid um die Genehmigungen. Einer der Investoren der ersten Stunde verlor rechtzeitig die Geduld: der Flughafen Wien. 19 Prozent hielt er ab 2001 an der Errichtungsfirma. Der damalige Vorstandssprecher Herbert Kaufmann versprach sich von dem „sehr interessanten Projekt“ einen „sehr guten Return“. Als die Lizenzen auf sich warten ließen, ließen sich die Österreicher 2003 ihren Anteil von den Konsortialpartnern auszahlen. Ciudad Real ist kein Einzelfall. Selbst nach dem Platzen der Immobilienblase und dem Ausbruch der Krise investierten spanische Städtchen in absurde Luftfahrt-Mammutprojekte. Mit 48 Airports verfügt das Land über mehr Flughäfen als Deutschland mit seinen fast doppelt so vielen Einwohnern.

In Castellón am Mittelmeer konnten es der Provinz- und der Regionskaiser (beide stehen unter Korruptionsverdacht) gar nicht mehr erwarten: Schon heuer im Mai, knapp vor den Regionalwahlen, eröffneten sie einen Flughafen, auf dem es mangels Genehmigungen bis heute keine Flüge gibt. Bei Murcia mit seinen 440.000 Einwohnern liegt ein neuer Flughafen nur eine halbe Stunde vom alten entfernt, der in bester Verfassung ist. Auch das kleine Toledo, nahe bei Madrid, will seinen eigenen haben. Schließlich hat sogar das idyllische Huesca am Fuß der Pyrenäen seinen Anschluss ans Reich der Lüfte – auch wenn dort heuer kein einziges Passagierflugzeug gestartet oder gelandet ist. Ganz verlassen bleiben die Hallen dennoch nicht: Das Flughafengasthaus genießt unter der lokalen Bevölkerung einen sehr guten Ruf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2011)

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