Osteuropa: "Land Grabbing" vor unserer Haustür

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Nicht nur in Afrika, Asien und Lateinamerika blüht der Handel mit fruchtbarem Land: Auch Osteuropa ist Ziel riesiger Agrarinvestitionen. Österreicher mischen dabei ebenfalls mit.

Vor einigen Jahren, so erinnert sich ein Agrarfunktionär, war eine Delegation aus den russischen Weiten zu Besuch in Wien, um für Investments in Agrarland zu werben – mitten in den fruchtbarsten Schwarzerdegebieten, zu Preisen von einem Zehntel des westeuropäischen Niveaus. Geredet wurde dabei nicht über „Peanuts“: „Ab 10.000 Hektar ist man dabei“, wurde berichtet.

Ob sich Interessenten für den Landkauf in der Steppe erwärmen konnten, ist nicht bekannt. Doch Tatsache ist, dass Grundstückskäufe von Ausländern in Osteuropa boomen. Es gibt viele börsenotierte Gesellschaften und Fonds, die im großen Stil aktiv sind. Etwa das dänische Unternehmen Jantzen, das in Tschechien, der Slowakei und Rumänien 17.000 Hektar bewirtschaftet – ein großer Teil stammt von ehemals kommunistischen Großbetrieben, die privatisiert wurden. Das Kapital kommt aber auch von außerhalb Europas: So hat eine chinesische Firma angekündigt, in Rumänien Obst und Gemüse produzieren zu wollen. Und Libyen hat angeblich 250.000 Hektar in der Ukraine erworben.

Unter den Investoren sind auch Österreicher: Bekannt ist etwa die steirische Adelsfamilie Bardeau, die in Rumänien mehr als 20.000 Hektar bewirtschaftet – diese Flächen wurden u.a. von unzähligen Kleinlandbesitzern erworben, die nach der Wende Land restituiert bekamen, es aber nicht nutzten. In Osteuropa liegen bis heute weite Landstriche brach. Aktiv sind aber auch Landwirtschaftsbetriebe in Grenzlagen, die ihre Flächen etwa im angrenzenden Ungarn arrondieren. Auch manche Weinbauern sind ins nahe Ausland gegangen und lassen dort hoch qualitative Reben wachsen.

Der neue Großgrundbesitz in Osteuropa wird von manchen NGOs unter den Begriff Land Grabbing (Landraub) subsumiert – ein Wort, das per definitionem eine negative Bedeutung hat. Unter globalisierungskritischen Gruppen wurde der Begriff zu einem wahren „Gottseibeiuns“: als Anklage gegen gierige Geschäftemacher, die ihren Profit auf dem Rücken der einheimischen Bevölkerung machen wollen und das Land ohne Rücksicht auf ökologische Folgen ausbeuten.

Durch diese negative Punzierung, so meinen andere Organisationen, werde eine notwendige Debatte verhindert: Die weltweite Landwirtschaft benötigt dringend Investitionen, um die wachsende Menschheit ernähren zu können. Ein Anwachsen auf neun Milliarden Erdenbewohner und das gleichzeitige Steigen des Lebensstandards bedeuten laut FAO, dass die Nahrungsproduktion um 70 Prozent wachsen muss.

Von den Befürwortern des internationalen Grundstückshandels wird daher die Chance auf eine „Win-win-Situation“ betont: Durch die Investitionen komme es auch zu einem Technologietransfer, der die Landwirtschaft produktiver mache und dadurch auch der einheimischen Bevölkerung helfe. Landwirtschaft gilt als wesentlicher Hebel bei der Armutsbekämpfung.

Die Kritiker halten dagegen, dass ausländische Land Grabber gar nicht die Ernährung der Bevölkerung im Blick hätten, sondern die Ernteprodukte für ihre Zwecke nutzen: Wenn Katar z.B. in Kenia 40.000 Hektar Land kauft, dann will es Lebensmittel für die arabische Heimat produzieren. Und vielfach gehe es gar nicht um Lebensmittel, sondern um Rohstoffe für Biosprit: Etwa wenn China auf 2,8Millionen Hektar im Kongo die weltgrößte Palmöl-Plantage errichtet.


Konträre Debatte. Genaue Zahlen über das Ausmaß ausländischer Landkäufe gibt es nicht, ebenso wenig über langfristige Pachtverträge, die in jüngster Vergangenheit beliebter werden. Schätzungen zufolge ist das Ausmaß aber gewaltig – nämlich zwischen 50 und 80 Millionen Hektar. Das entspricht einer Größenordnung von zweimal Deutschland. Für manche Staaten bedeutet das wirklich einen Ausverkauf des Landes: Im Südsudan z.B. sind nach Angaben der Afrikanischen Union knapp 40 Prozent der Landflächen in ausländischem Besitz.

Seit Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt wieder etwas wert sind, sind vor allem die Landkäufe in Afrika und Südamerika deutlich angestiegen – diese Erdteile sind die einzigen, in denen es noch nennenswerte Reserven an nicht intensiv genutztem Land gibt. Rund zwei Drittel der ausländischen Landkäufe finden in Afrika statt, der Rest überwiegend in Asien und Südamerika – bleibt für Europa nur ein verschwindend kleiner Anteil. Allerdings: So hoch die Investitionen in die Landwirtschaft auch sein mögen, ihr Anteil an den gesamten ausländischen Investitionen liegt bei unter zehn Prozent. Mancherorts wird damit freilich viel Schaden angerichtet: Aus Tansania etwa wird berichtet, dass 162.000 Menschen von dem Land vertrieben wurden, auf dem sie traditionell gelebt hatten, weil sie keine belastbaren Rechtstitel hatten. In mehreren Ländern südlich der Sahara sollen ganze Landstriche ausgeräumt werden, um große Reisfelder anzulegen – und dabei soll viel mehr Wasser verbraucht werden, als das Land langfristig hergibt.

Eine fruchtbare Debatte zwischen den konträren Standpunkten wird insbesondere dadurch erschwert, dass es keine einheitliche Definition von Land Grabbing gibt. Daher reden die Kontrahenten oft über etwas anderes – und aneinander vorbei. Weit verbreitet ist eine Definition, bei der es um den Prozess geht: Landraub liegt demnach dann vor, wenn im Zuge des Erwerbs Menschenrechte verletzt wurden, die früheren Landnutzer falsch informiert oder sogar bedroht wurden oder wenn es keine transparenten Verträge und Verhandlungen gibt. Andere Organisationen betonen hingegen die transnationale Dimension der Veränderung der Landnutzung – also die geopolitische Komponente, die unweigerlich zu einer Debatte um einen „Neo-Kolonialismus“ führt. Und wieder andere Organisationen fokussieren darauf, dass unverhältnismäßig viel Land (im Vergleich zur „normalen“ Struktur eines Landes) von wenigen kontrolliert wird – und zwar unabhängig davon, ob von In- oder Ausländern.


Kampf um „Heimat“. Offensichtlich spielt in die Debatte viel Ideologie hinein – was auch nicht verwundert, denn Land ist schon seit jeher eine der wesentlichen Lebensgrundlagen der Menschen, es gibt eine reiche Tradition an klassenkämpferischen Konflikten um Landreformen. Und stets ist ein Kampf um Land auch ein Kampf um „Heimat“ – eine nicht zu unterschätzende psychologische Komponente.

Unter der Schirmherrschaft der UN-Lebensmittelorganisation FAO haben unzählige Organisationen – unter ihnen 96 Staaten, Wirtschaftsvertreter oder NGOs – nun „Guidelines“ zum verantwortungsvollen Umgang mit Land erarbeitet. Die Verhandlungen wurden Anfang März abgeschlossen, der Beschluss Mitte Mai durch die UNO gilt als Formsache. Detailliert festgeschrieben werden darin Kriterien zur Verwaltung von Land, zum Aufbau funktionierender Institutionen – etwa von Registern –, Standards für die Transparenz bei Verhandlungen, für den Schutz traditioneller Rechte der Bevölkerung und eine Pflicht zur Berücksichtigung von Umweltauswirkungen und der Konsequenzen für die Ernährungssicherheit.

Die Initiatoren setzen große Hoffnungen in die Richtlinien, um die knappe Ressource Land besser zu nutzen und schädliche Folgen von Land Grabbing zu vermeiden – auch wenn diese völkerrechtlich nicht bindend sind. Die Richtlinien gelten als eine Interpretation des bestehenden internationalen Regelwerks, etwa der Menschenrechte. Sie sollen als Grundlage für Gesetzesreformen, als Standards bei Verhandlungen und als Checkliste für konkrete Deals dienen.


Schutz von Rechten. Ob die Richtlinien auch für die Grundstücksgeschäfte vor unserer Haustür Folgen haben, bleibt abzuwarten. Denn es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen Osteuropa und Entwicklungsländern: Hierzulande gibt es funktionierende Grundbücher – in Rumänien etwa ist das ein Erbe der Monarchie. In Entwicklungsländern gibt es hingegen nur schwach abgesicherte Eigentumsrechte – vor allem was die traditionelle gemeinschaftliche Nutzung von Land betrifft.

In Osteuropa wird derzeit der Ruf nach Eindämmung des Grundverkehrs lauter. In Ungarn will die nationalkonservative Regierung eine Verlängerung des derzeitigen Moratoriums erreichen, das den Grundkauf durch ausländische Privatpersonen verhindert, und führt sogar Razzien bei Eigentümern durch. Auch die rumänische Regierung will die EU um schärfere Restriktionen für Landkauf ersuchen. Allein sind diese Staaten mit ihrer Angst vor dem „Ausverkauf“ der Heimat nicht: Diese ist auch in Österreich weit verbreitet – und die neun Grundverkehrsgesetze der Länder werden nur dann stückchenweise liberalisiert, wenn der Europäische Gerichtshof Österreich wieder einmal verurteilt hat.

Motive für den Landkauf

Die meisten Agrarflächen in Entwicklungsländern werden
von Staaten mit hohem Wachstum, aber Bodenknappheit im eigenen Land gekauft – China, Indien, Japan oder Südkorea.

Die Nahrungsproduktion für die eigene Bevölkerung steht
in den reichen Golfstaaten oder in Libyen im Vordergrund.
Viele Länder, die ihre Abhängigkeit von Ölimporten senken wollen, wollen hingegen Rohstoffe für Biosprit produzieren.

Viele Investoren suchen eine sichere Investition, mit der sie sich gegen Inflation wappnen können – und spekulieren auch darauf, dass Land immer knapper und daher mehr wert wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2012)

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