Leben nach der Dotcom-Blase

Leben nach DotcomBlase
Leben nach DotcomBlase(c) FABRY Clemens
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Webfreetv.com ist eine der wenigen überlebenden Firmen des seinerzeitigen Internethypes. Das ist erstaunlich: Um das kleine Unternehmen gibt es Streit ohne Ende. Das Nachsehen haben die Kleinanleger.

Der Mann muss Nerven wie Stahlseile haben. Seit einem Jahr ist Alexander Vogel Chef einer kleinen burgenländischen Firma. „Kleine Quetsche“ sagt der Österreicher dazu: zehn Mitarbeiter, 460.000 Euro Jahresumsatz – recht überschaubar also. Wären da nicht die gigantomanischen Zores ohne Ende. „Ich bin in dem einen Jahr schon mit wirklich viel konfrontiert worden“, seufzt Vogel.

Spannend hatte er sich den Job natürlich schon vorgestellt. Immerhin ist das Unternehmen, das er führt, eines der letzten überlebenden des großen Internethypes Ende der 1990er-Jahre. Mit allem, was dazu gehört: Der Multimediadienstleister webfreetv.com (siehe Kasten unten)hat in den elf Jahren seines Bestehens nie auch nur ein Quartal positiv bilanziert. Macht nichts: Das Unternehmen notiert dennoch seit Jahren an der Börse, erfreut sich eines Streubesitzes von 67 Prozent – und operativ wird, eh klar, auch schon Licht am Ende des Tunnels gesehen: „Das dritte Quartal war sehr vielversprechend“, sagt Vogel, „die Firma befindet sich im Turnaround.“ So weit, so gewöhnlich für ein Unternehmen der Generation New Economy.

Und trotzdem ist die Geschichte der kleinen Firma ungewöhnlich. Es ist die Geschichte von Zwist und Hader. Es ist die Geschichte von Intrigen und offenen Rechnungen. „Wir sind ein sehr emotionales Unternehmen“, sagt Vogel. Eine beneidenswert nonchalante Sicht der Dinge.

Vogel musste sich jedenfalls Zeit seines bisher kurzen Wirkens mit Insolvenzgerüchten und Konkursanträgen auseinandersetzen. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt wegen des Verdachts auf grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen, Betrug und betrügerische Krida. Zum Drüberstreuen gibt es auch Wickel mit der Finanzmarktaufsicht – wegen Verstöße gegen die Publizitätspflichten: Per 31.Oktober fliegt webfreetv.com von der Börse. Schlimm für die Kleinanleger: Sie bleiben auf ihren Papieren sitzen – per Mai wurde das Unternehmen nämlich von einem Tag auf den anderen „vorübergehend delisted“.

Ärgerlich, aber durchaus absehbar. Denn die Konflikte, die rund um das Unternehmen toben, sind beispiellos. Und persönliche Animositäten spielen dabei eine gar nicht so kleine Rolle.

Webfreetv.com wurde 1999 vom ehemaligen „Börsenguru“ Mike Lielacher gegründet. Er brachte das Unternehmen an die Börse, saß zunächst im Vorstand, später im Aufsichtsrat. 2008 wurden neue Aktionäre an Bord geholt, weil Geld bekanntlich nicht stinkt – schon gar nicht für eine Internetfirma. 1,75 Millionen Euro kamen also herein. Einige Prozente des Unternehmens gingen an den Private-equity-Fonds Connexio. 27,53 Prozent übernahm die Athena Burgenland Beteiligungen AG, ein Venture-Capital-Fonds für das Burgenland. Er gehört der Landesgesellschaft Wibag, der Bank Burgenland sowie der Bawag und hat die Aufgabe, kleinen und mittleren burgenländischen Unternehmen Eigenkapital zur Verfügung zu stellen.

Dass die Unterstützung von sogenannten Start-up-Unternehmen eine oft mühselige Angelegenheit ist, wird der Wibag wohl bekannt sein. Webfreetv.com scheint allerdings alles bisher Dagewesene in den Schatten zu stellen. Er würde sich gerne von der Beteiligung wieder trennen, gab Wibag-Vorstand Peter Schmitl unlängst zu Protokoll. Bei dem Unternehmen gehe es nämlich längst nicht bloß um eine reine Finanzbeteiligung mit den üblichen Problemstellungen.

Man kann es ihm nicht verdenken. Denn eigentlich ging es mit den Problemen bei webfreetv.com mit dem Athena-Einstieg erst richtig los: Mit den neuen kapitalkräftigen Aktionären im Schlepptau witterte der damalige Vorstand die einmalige Gelegenheit, den unliebsam gewordenen Firmengründer Lielacher loszuwerden. So weit jedenfalls die Fama, die nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Lielachers frostiger Kommentar spricht Bände: „Ich habe keine Erinnerung an diese Zeit“, sagt er.

Aus operativer Sicht war das Hinauskomplementieren Lielachers kein glücklicher Schachzug: Lielacher nahm wertvolle Kontakte und Kunden mit – webfreetv.com musste einen drastischen Umsatzeinbruch hinnehmen. Ende 2009 musste das Unternehmen feststellen, dass von den Millionen, die ein Jahr zuvor von den neuen Aktionären mitgebracht worden waren, alles weg war. Die drei (!) Vorstände gingen – einvernehmlich, wie es hieß. Doch gar zu freundschaftlich dürfte der Abschied dann doch nicht gewesen sein. Einer dieser Vorstände war nämlich Rudolf Fußi, einer breiten Öffentlichkeit als streitbarer Initiator des Anti-Abfangjäger-Volksbegehrens bekannt. Er sollte der Firma noch viel „Freude“ bereiten.

Seitdem tobt jedenfalls ein Krieg zwischen dem früheren Vorstand Fußi und seinem Nachfolger Vogel. Und der verbringt, wie er sagt, einen Gutteil seiner Zeit damit, „Dinge, die in der Öffentlichkeit behauptet werden, zu widerlegen“. Immer wieder hat Fußi etwa behauptet, webfreetv.com sei insolvent. Zufälligerweise wurde von einem Rechtsanwalt Ende Mai ein Konkursantrag eingebracht. Mittlerweile wurde der allerdings vom zuständigen Gericht abgelehnt.

Zur gleichen Zeit bekam die Firma auch Probleme mit der Finanzmarktaufsicht, weil Geschäftszahlen zu spät publiziert worden seien. Es folgte das „vorübergehende Delisting“ von der Börse. Für die Unternehmensführung kam die drastische Maßnahme überraschend – seitdem wird behauptet, dass webfreetv.com unter Fußi bereits mehrmals Strafverfügungen der FMA erhalten habe. Er habe die Strafen auch bezahlt, den Aufsichtsrat aber nie über das Problem informiert. Ein Vorwurf, den Fußi nicht auf sich sitzen lassen möchte: Er werde „unverzüglich“ klagen, sagte er Anfang September. Bis jetzt sei das aber nicht geschehen, sagt Vogel süffisant. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bezeichnet Vogel überhaupt als „Kasperltheater, aus dem sich wohl jeder einen Reim machen kann“.

Ob Fußi tatsächlich dahinter steckt, ist nicht zu eruieren. Komisch wäre es schon, weil er ansonsten mit öffentlichen Anschuldigungen nie hinter dem Berg hielt. Für ihn ist etwa „Vogel so etwas wie Lielachers rechte Hand und soll sicherstellen, dass Lielacher wieder die Aktienmehrheit bekommt“. Man habe ein erfolgreiches Unternehmen zerstört und versuche nun, die Schuld anderen zu geben.

Eine ziemlich vertrackte Angelegenheit also. Und die wird vor allem auf dem Rücken der Kleinanleger ausgetragen. Doch Vorstand Vogel zeigt wieder einmal Nervenstärke: „Wir haben natürlich gegen den Rausschmiss von der Börse Berufung eingebracht“, sagt er. Und überhaupt werde das Unternehmen in der nächsten Zeit „mit positiven Meldungen überraschen“. Eine davon kam am Donnerstag: Aktionär Connexio hat wieder Geld zugeschossen.

Auf einen Blick

Webfreetv.com wurde 1999 vom früheren „Börsenguru“ Mike Lielacher gegründet und bietet Videos, Webzeitungen, Imagefilme, Event-TV – also „multimedialen Content“ – für Firmen an. Eine typische Firma der New Economy: In den elf Jahren seines Bestehens hat webfreetv.com nie auch nur ein Quartal positiv bilanziert. Dafür gibt es jede Menge Probleme. Wegen wiederholter Verletzungen der Publizitätspflichten fliegt die Firma jetzt von der Wiener Börse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2010)

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