Schicksalsjahr 2017: Was wird aus dem Euro?

Euro-Münzen
Euro-Münzen(c) Clemens Fabry
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In Europa werden die Weichen heuer neu gestellt. Der Superstaat ist in weite Ferne gerückt. Der Euro wird wieder in die Mangel genommen.

Es wird ein dramatisches Jahr, dieses 2017. In den vergangenen zwölf Monaten ist die alte Weltordnung endgültig aus den Fugen geraten. Die Entscheidung der Briten für den Brexit und jene der Amerikaner für Donald Trump sind deutliche Zeichen. Dass die Märkte nicht sofort zusammengebrochen sind, wie von vielen Gegnern dieses Wandels unter lautem Gejohle prophezeit, zeigt bloß, wie weit der strukturelle Wandel unterhalb der Oberfläche bereits fortgeschritten ist. Und wie sehr die Notenbanker bemüht sind, den Wandel möglichst sanft zu vollziehen.

Das alte Betriebssystem ist von Viren zerfressen und kann nur noch durch immer häufiger notwendige Sicherheitsupdates am Laufen gehalten werden. Stichwort Geldpolitik. Aber sowohl den Währungshütern als auch den meisten Politikern ist längst klar: Das Weltfinanzsystem braucht ein Update. Einen Neustart vielleicht sogar.

Es gibt dafür eine Reihe von konkreten Hinweisen, die man auch an den Märkten beobachten kann. Etwa den Verfall des Ölpreises oder das anhaltende Währungschaos in Ländern wie China oder der Türkei. Ein entscheidender Faktor ist die Menge der Währungsreserven, die eine Stütze des seit 1971 etablierten Systems darstellen – und seit einigen Monaten weltweit abgebaut werden. Eine Folge dessen ist die anhaltende Dollar-Stärke, die langsam sogar für die USA zum Problem wird. Weitere Hinweise sind in der Diplomatie zu finden. So hat sich mit Henry Kissinger ausgerechnet ein Architekt des aktuellen Systems angeboten, zwischen Donald Trump und Wladimir Putin zu vermitteln.

Drei wichtige Wahlen in Europa

All diese Fäden werden wir in dieser Kolumne im Schicksalsjahr 2017 aufgreifen und – hoffentlich – zu einem greifbaren Ganzen flechten. Freilich: Wohin die Reise geht, können wir nur vermuten. Aber ein wachsames Auge hilft sehr. Vor allem, wenn es um Europa und den Euro geht.

Denn nachdem dies in der angelsächsischen Welt schon geschehen ist, werden heuer auch in Europa die Weichen langfristig neu gestellt. Im März jährt sich die Unterzeichnung der römischen Verträge zum 60. Mal. Wahlen in Frankreich, den Niederlanden und in Deutschland werden die neue Richtung weisen.

(c) Die Presse

Wohin? Der Weg zu den Vereinigten Staaten von Europa scheint weiter denn je. Die national orientierten Politiker sind im Aufwind. Und zum ersten Mal seit Jahren wird der Euro wieder Thema. An den Märkten scheinen die Trends eindeutig: Die Analysten erwarten ein weiteres Absinken der europäischen Währung bis auf Parität zum US-Dollar.

Aber der Kurs ist nur eine Sache. Die andere ist die Frage nach der zukünftigen Ausgestaltung der Währungsunion. Der französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron hatte dazu kürzlich etwas Interessantes zu sagen. Der Euro könnte binnen zehn Jahren zerfallen, warnte Macron bei einer Rede in Berlin – ausgerechnet in Berlin. „Die Wahrheit ist, dass wir gemeinsam erkennen müssen, dass der Euro ohne große Reformen nicht bestehen kann. Er hat Europa nicht zu voller Souveränität gegenüber dem Dollar verholfen. Und er hat Europa nicht die natürliche Konvergenz zwischen den Staaten gebracht“, sagte Macron. Der ehemalige Investmentbanker und Wirtschaftsminister gilt als Zentrist.

In den Umfragen liegt er knapp hinter der Rechtspopulistin Marine Le Pen, die Frankreich überhaupt aus dem Euro nehmen will – und dem Kandidaten der Konservativen, François Fillon, der ebenfalls kein uneingeschränkt „glühender Europäer“ ist und den Nationalstaat stärken will. Die bisher regierenden Sozialisten gelten als hoffnungslos.
Zentrist Macron dürfte also der Brüssel-freundlichste Kandidat im Rennen sein. Er spart nicht mit Kritik an Deutschland: „Die Fehlfunktion der Eurozone ist für Deutschland sehr nützlich, muss ich sagen. Der Euro ist eine weiche Deutschmark. Die Beibehaltung des Status quo ist gleichbedeutend mit dem Auseinanderbrechen des Euro binnen zehn Jahren.“ Das klingt wie der Neuaufguss des Arguments, wonach der Euro nur mit Eurobonds, Eurofinanzminister und Euroregierung überlebensfähig sei. Eingebettet in einen europäischen Superstaat.
Stimmt das? Der französische Ökonom und Berater von Charles de Gaulle, Jacques Rueff, hat schon Mitte des 20. Jahrhunderts gesagt: „Europa wird über die Währung gebaut. Oder es wird gar nicht gebaut.“ Angela Merkel, die deutsche Kanzlerin, hat gesagt: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“

Merkel will keinen Superstaat

Aber als die Vorschläge zur Schaffung einer politischen Union auf dem Tisch lagen, hat Merkel sie einen nach dem anderen weggewischt. Die deutsche Kanzlerin scheint eine andere Vorstellung vom Bauplan für das Haus Europa zu haben, als jene, die sich einen Superstaat wünschen.
Am Donnerstag hielt Merkel in Belgien eine bemerkenswerte Rede. „Migration und Flüchtlinge, Kampf gegen den Terrorismus, innere und äußere Sicherheit – das sind drei Beispiele gewaltiger Aufgaben, bei denen der Mehrwert gemeinsamen europäischen Handelns aus meiner Sicht sehr klar sichtbar wird.“

Die Kanzlerin schränkt aber ein: „Es gibt auch eine Vielzahl von Themen, bei denen Europa gerade davon lebt, dass es vielfältig ist, dass es unterschiedliche Traditionen in seinen Regionen gibt. Der Versuch, alles gleichzumachen, nur um den Erfordernissen eines gemeinsamen Marktes zu entsprechen, wird die Herzen der Menschen nicht erobern, da sie stolz auf ihre regionalen Traditionen sind, die auch zu speziellen Fähigkeiten und Fertigkeiten verhelfen.“

Nach Superstaat klingt das nicht. Aber auch nicht nach De Gaulles Europa der Vaterländer. Merkels Europa ist ein Hybrid-Modell. Das Eurosystem blieb in der Rede unerwähnt. Auch ein Signal: Passt schon, wie es ist, scheint sie zu sagen. Das bedeutet auch: Die Nationalstaaten müssen Verantwortung übernehmen – vor allem bei wirtschaftspolitischen Reformen. Das scheint der einzige gangbare Weg für Europa zu sein. Das Ziel einer friedlichen und freien Union geht aber nicht verloren.

E-Mails an: nikolaus.jilch@diepresse.com

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