Target2: Das Fed-System ist nicht die Lösung

Target2 FedSystem nicht Loesung
Target2 FedSystem nicht Loesung(c) Reuters (Joshua Roberts)
  • Drucken

Der US-Mechanismus ist rein bilanzieller Natur und führt lediglich zu einer Neuaufteilung der Aktivseite des Notenbanksystems auf einzelne Banken. Zudem ist er nicht auf den Euroraum übertragbar.

Die starke Ausweitung der TARGET2-Salden zwischen den nationalen Zentralbanken des Eurosystems hat in letzter Zeit für eine kontroverse öffentliche und wissenschaftliche Diskussion gesorgt. So haben Sinn und Wollmershäuser (2011) ein Verfahren vorgeschlagen, mit dem die Target-Salden jährlich ausgeglichen und die Anreize zu deren Aufbau reduziert werden sollen. Konkret handelt es sich dabei um das Ausgleichsverfahren der Distriktbanken im Federal Reserve (Fed) System der USA. Dort gibt es mit den sogenannten "Interdistrict Settlement Accounts" (ISA) zwischen den Distriktbanken ebenso Verrechnungssalden, die mit denen des TARGET2-Systems vergleichbar sind.

Vergleich der TARGET2- und ISA-Salden

Das Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer System, kurz TARGET2-System, bildet den Kapitalverkehr zwischen Ländern des Euroraums über die jeweiligen nationalen Zentralbanken ab. Ausgelöst durch das gestiegene Misstrauen der Kreditinstitute untereinander, kam es seit Beginn der Finanzkrise im TARGET2-System der EZB zu einer deutlichen Divergenz der Salden zwischen verschiedenen nationalen Notenbanken. So hat die Bundesbank beträchtliche TARGET2-Forderungen gegenüber dem EZB-System aufgebaut (Abbildung 00412, links). Die Gründe für diese Entwicklung sind von einigen Autoren bereits eingehend diskutiert worden (Buiter et al., 2011, Bindseil und König, 2011).

Ebenso wie im europäischen TARGET2-System ergeben sich aus Transaktionen zwischen den zwölf Distriktbanken des Fed-Systems Forderungen und Verbindlichkeiten in deren ISA. Auffällig ist, dass die Salden nicht nur im europäischen, sondern auch bei dem US-amerikanischen Pendant seit Ausbruch der Krise stark zugenommen haben (Abbildung 00412, rechts). Somit scheint der Ausgleich nicht grundsätzlich dazu geeignet ISA-Salden ex-ante zu begrenzen.

Der jährliche Anpassungsprozess der ISA-Salden

Im Gegensatz zum TARGET2-System haben sich die Distriktbanken der Fed darauf geeinigt einmal im Jahr eine Anpassung der ISA-Salden vorzunehmen. Diese jeden April stattfindende Prozedur besteht aus zwei Schritten:

  • Im ersten buchhalterischen Schritt müssen die jährlichen Salden durch Gold-Zertifikate ausgeglichen werden. Für die Höhe des Ausgleichs maßgebend ist der jährliche Durchschnitt der täglichen ISA-Salden und nicht der exakte Bestand zum Stichtag. Somit kommt es nicht notwendigerweise zum einem vollständigen Saldenausgleich. Ausgangspunkt für die Ausgleichsprozedur ist also die Differenz (Summe) aus dem jeweiligen Bestand an Goldzertifikaten einer Distriktbank und ihren ISA-Verbindlichkeiten (ISA-Forderungen).
  • Da eine Anpassung über Gold-Zertifikate aufgrund des niedrigen Bestands im Fed-System nicht möglich ist, wird im zweiten Schritt die Aufteilung des Gold-Zertifikate-Kontos neu vorgenommen. Dieser Schritt hat zum Ziel das Verhältnis von Gold-Zertifikaten und Geldbasis in jeder Distriktbank dem des konsolidierten Fed-Systems anzupassen. Die Prozedur stammt noch aus der Zeit des Goldstandards und sollte dafür sorgen, dass die Golddeckung des Bargeldumlaufs in allen Distriktbanken gleich ist. Der Unterschiedsbetrag zwischen den benötigten und dem nach ISA-Anpassung der ersten Stufe bestehenden Goldbestand wird durch die Neuaufteilung der Wertpapiere im „System Open Market Account" (SOMA) zwischen den einzelnen Fed-Banken ausgeglichen (Board Of Governors Of The Federal Reserve System, 2011). Die Zusammensetzung des SOMA wird durch die Zentralbankpolitik bestimmt. Letztendlich entsteht im System der Distriktbanken zum Stichtag eine Anpassung bei jeweils drei Bilanzpositionen: ISA, Gold-Zertifikate-Konto und SOMA.

Berechnung der Anpassung im April 2011

Die folgenden Berechnungen beziehen sich auf die Anpassung zum Stichtag im April 2011, der die Periode April 2010 bis April 2011 zugrunde liegt. Hierfür wurden die wöchentlichen Veröffentlichungen der jeweiligen Distriktbanken herangezogen, da tagesaktuelle Werte, mit denen die ISA-Salden von der Fed berechnet werden, nicht verfügbar sind. Die Anpassungen werden exemplarisch für eine Defizitbank (Atlanta) und eine Überschussbank (Philadelphia) dargestellt (Tabelle 00612). Das für den Ausgleich maßgebliche Verhältnis von Gold-Zertifikaten zum gesamten Bargeldumlauf betrug im konsolidierten Notenbanksystem rund 1,14 Prozent.



Während das ISA-Defizit der Fed-Atlanta im Jahresdurchschnitt bei nur 50 Milliarden Dollar lag, stieg es bis zum Ende der Erfüllungsperiode auf 72,35 Milliarden Dollar. Deshalb sinkt das Defizit zum Stichtag nur auf 27,96 Milliarden Dollar. Die Differenz zum rechnerischen Ergebnis resultiert aus Nichtverfügbarkeit von Tagesdaten und aus neu aufgebauten Salden in der Zuteilungswoche. Da die Verbindlichkeiten mit Gold-Zertifikaten abgelöst werden müssen, ergibt sich ein Defizit in der Gold-Zertifikate Bilanz von 48,33 Milliarden Dollar. Die Kopplung an den Bargeldumlauf bewirkt aber einen im Vergleich zur Aufgangssituation gestiegenen Gold-Zertifikate-Bestand von 1,394 Milliarden Dollar. Dies wird durch einen entsprechenden Abfluss von SOMA Aktiva finanziert, die auf 183,38 Milliarden Dollar sinken.

Im Gegensatz dazu wies die Fed Philadelphia über die gesamte Berechnungsperiode ISA-Überschüsse aus, die allerdings gegen Ende zunahmen. So lag der ISA-Jahresdurchschnitt bei 26,85 Milliarden Dollar, während der Überschuss zum Ende der Periode 40,83 Milliarden Dollar betrug. Deshalb sinkt der ISA-Saldo auf 11,03 Milliarden Dollar bei Anpassung. Dafür müsste das Gold-Zertifikate Konto der Fed Philadelphia auf 27,25 Milliarden Dollar steigen. Da aber Gold in diesem Umfang im gesamten Fed-System nicht verfügbar ist, wird die Anpassung über das Verhältnis der Gold-Zertifikate zu dem im Distrikt Philadelphia vorhandenen Bargeld vorgenommen. Demnach stehen der Fed Philadelphia lediglich Gold-Zertifikate im Wert von 0,43 Milliarden Dollar zu. Dafür steigt der SOMA Bestand um 27,36 Milliarden Dollar auf 84,41 Milliarden Dollar. Folglich kommt es durch die Neuordnung der Bilanzen also faktisch nur zu einem Abbau der ISA-Überschüsse durch eine verstärkte Zuteilung von SOMA Aktiva.

Der im April 2012 durchgeführte Saldenausgleich hat nunmehr dazu geführt, dass die Salden fast vollständig ausgeglichen sind. Dies ist vornehmlich darauf zurückzuführen, dass im Jahresdurchschnitt der Saldenaufbau zum Stillstand gekommen ist.

Übertragbarkeit auf den Euroraum?

Die scheinbare Attraktivität des Fed-Systems für den Euroraum ergibt sich aus der jährlichen Anpassung der ISA-Salden. Selbst wenn der Ausgleich nicht vollständig perfekt ist, wird dadurch dennoch für langfristige Überschüsse und Defizite eine partielle Korrektur erreicht.

Anhand der Datenlage lässt sich quantifizieren, wie sich eine Übertragung des ISA-Systems auf die drei Bilanzen der Länder im Euroraum ausgewirkt hätte. Es wird von einem Stichtag Anfang November 2011 ausgegangen, sodass die betrachtete Periode für die Durchschnittsbildung von Anfang November 2010 bis Ende Oktober 2011 reicht (Tabelle 00812).

Zunächst stellt sich die Frage, ob das Eurosystem lediglich die erste Stufe des Anpassungsprozesses also die Umverteilung der Goldbestände übernehmen müsste, um die TARGET2-Salden abzubauen. Der Goldbestand umfasste zum Stichtag im gesamten Eurosystem etwa 420 Milliarden Euro und ist somit bereits kleiner als die TARGET2-Forderungen der Bundesbank gegenüber dem Eurosystem, die zum gleichen Zeitpunkt rund 496 Milliarden Euro betrugen. Zudem befinden sich mit etwa 130 Milliarden Euro bereits ein signifikanter Teil der Goldbestände des Eurosystems im Besitz der Bundesbank.



Also müsste auch im Eurosystem auf die zweite Stufe zurückgegriffen werden. Hier ergibt sich allerdings ein konzeptionelles Problem bei der Übertragung auf den Euroraum. Wie in den USA zu beobachten ist, findet die Anpassung letztendlich über den SOMA statt, also über Wertpapiere, die die Fed durch ihre Offenmarktoperationen in die Bilanz genommen hat. Es besteht aber ein großer Unterschied zwischen den Offenmarktgeschäften der Fed und der EZB. Während die Fed die Papiere tatsächliche erwirbt, verwendet die EZB vergleichbare Papiere lediglich als Sicherheiten. Demnach verfügen die nationalen Zentralbanken im Euroraum über keine vergleichbare Bilanzposition wie die SOMA.

Als Alternative könnte über eine zentrale Erfassung aller Sicherheiten für Refinanzierungsgeschäfte im Eurosystem nachgedacht werden. Die Einzahlung jeder Notenbank ergibt sich aus dem Wert der Sicherheiten der Haupt- und längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte, während sich der Anteil jeder nationalen Notenbank an diesem Pool zusätzlich die jeweiligen TARGET2-Forderungen und -Verbindlichkeiten mit einbezieht. Mit dieser Aufteilung könnte dem Sachverhalt aus steigender Teilnahme an den Refinanzierungsgeschäften in den Peripherieländern des Euroraums und gleichzeitig steigenden TARGET2-Forderungen in Deutschland Rechnung getragen werden. Der Anteil Deutschlands an diesem Pool würde, wenn ein analoges Verfahren zu dem Ausgleich der ISA-Salden verfolgt wird, zum Stichtag um 406,50 Milliarden Euro steigen, während der Anteil Irlands um 154,86 Milliarden Euro sinken würde. Dabei beträgt die gesamte Aktivseite der Bilanz der irischen Notenbank lediglich Milliarden Euro zum Stichtag. Also müsste Irland nicht nur alle Aktiva aus den Refinanzierungsgeschäften an das Eurosystem übertragen, sondern auch Aktiva aus der Gewährung von ELA-Krediten, die eine nicht ausreichende Bonität für Refinanzierungsgeschäfte mit der EZB aufweisen und deshalb in nationaler Haftung begeben werden müssen. Ob das Risiko solcher Aktiva geringer ist, als das aus einer Forderung gegenüber dem Eurosystem, wie es die TARGET2-Salden darstellen, muss bezweifelt werden.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Bonität der Sicherheiten im Pool der Refinanzierungsgeschäfte hoch genug ist, da die Anforderungen an die Sicherheiten im Zuge der Finanzkrise massiv gelockert wurden. Würde im Eurosystem wie in den Vereinigten Staaten die Aktivseite der Bilanz neu aufgeteilt und jede nationale Notenbank einen Anteil am aktuellen Refinanzierungsgeschäft in die Bilanz nehmen, dann sind es vielmehr die Risiken dieser Wertpapiere, die Anlass zur Besorgnis geben, nicht jedoch die TARGET2-Salden selbst. Sollte der Euro auseinanderbrechen, dann würden die Verluste für Deutschland nicht deswegen kleiner, weil die TARGET2-Salden im Zuge des Ausgleichsverfahrens durch die Sicherheiten aus den Refinanzierungsgeschäften ausgeglichen werden. Vermutlich ist es dann immer noch besser, Forderungen gegen das Eurosystem zu haben.

Eine längere Fassung dieses Beitrags ist im Wirtschaftsdienst (2012 Heft 4) erschienen, eine Kurzzusammenfassung findet sich beim FTD WirtschaftsWunder.

Literatur

Bindseil, U. und P. König (2011): The economics of TARGET2 balances, SFB 649 Discussion Paper, Humboldt University Berlin.

Board Of Governors Of The Federal Reserve System (2011): Financial Accounting Manual For Federal Reserve Banks, Revision Set 51.

Buiter, W. H., E. Rahbari und J. Michels (2011): The implications of intra-euro area imbalances in credit flows, CEPR Policy Insight (57).

Klose, J. und Weigert, B. (2012): Das Verrechnungssystem der Federal Reserve und seine Übertragbarkeit auf den Euroraum, Wirtschaftsdienst 92(4), S. 243-250.

Sinn, H.-W. und T. Wollmershäuser (2011): Target-Kredite, Leistungsbilanzsalden und Kapitalverkehr: Der Rettungsschirm der EZB, Ifo Working Paper Series, Ifo Institute for Economic Research at the University of Munich.

Kooperation

Die Autoren

Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.Jens Klose ist seit September 2011 Referent des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Benjamin Weigert ist seit August 2011 Generalsekretär beim Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Deutschland TargetFalle
Ökonomenstimme

Deutschland in der Target-Falle

Griechenland hat über Target2-Kredite im Eurosystem 106 Milliarden Euro Schulden bei der Deutschen Bundesbank angehäuft. Der politische Unwille, diese Kredite zu beachten, gibt zu Sorge Anlass.
Sinn Griechenland wird austreten
Home

Sinn: "Griechenland wird austreten - wetten?"

Die ökonomischen Probleme, die entstehen, wenn das Land in der Eurozone bleibt, seien schlicht unlösbar, sagt der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn.
Deutschland TargetFalle
Ökonomenstimme

Deutschland in der Target-Falle

Griechenland hat über Target2-Kredite im Eurosystem 106 Milliarden Euro Schulden bei der Deutschen Bundesbank angehäuft. Der politische Unwille, diese Kredite zu beachten, gibt zu Sorge Anlass.
Die Bilanz

Eurokrise: Die Lunte glimmt und keiner tritt sie aus

Die Kürzel „CDS“ und „Target 2“ wird man sich merken müssen: Dahinter verstecken sich unentschärfte Eurobomben mit sehr hohem Drohpotenzial – mit denen die Politik ganz offensichtlich nicht umgehen kann.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.