„Die Schiedsgerichtsbarkeit muss sich in Acht nehmen“

Günther Horvath
Günther Horvath(C) Kanzlei Freshfields
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Die Schiedsgerichtsbarkeit muss trachten, nicht an Terrain zu verlieren, sagt Rechtsanwalt Günther Horvath. Die Mediation macht ihr in den USA Konkurrenz.

Die Presse: Die Anzahl der Schiedsverfahren hat in den USA in den letzten Jahren stark abgenommen. Woran liegt das?

Günther Horvath: Das liegt daran, dass in den USA die Mediation eine beliebte Alternative zu Schiedsverfahren, aber auch zu Verfahren vor öffentlichen Gerichten geworden ist.

Was ist die Ursache für diesen Trend?

Ein wesentlicher Grund ist, dass vor allem bei staatlichen Gerichten der Aufwand für die Parteien, eine Entscheidung zu erlangen, besonders hoch ist. Aber die Parteien entscheiden sich auch gegen ein Verfahren vor dem Schiedsgericht, obwohl es wesentlich ökonomischer ist.

Was macht die Mediation gerade in den USA so beliebt?

Die Ursache ist systembedingt. Streitverfahren sind in den USA aufgrund der sogenannten Discovery, des umfangreichen Urkundenherausgabeverfahrens, sehr kosten- und zeitaufwendig. Jede Seite ist verpflichtet, alle Dokumente, deren Offenlegung die Gegenseite verlangt, beizustellen. Mitarbeiter der involvierten Unternehmen werden deshalb während des Verfahrens stark vereinnahmt. Im Unterschied dazu ist die Mediation weniger aufwendig, weniger formal und schneller, aber die Beteiligten müssen bereit sein, Abstriche in Kauf zu nehmen.

Welche Abstriche meinen Sie?

Bei einer Mediation hilft ein Dritter, einen Kompromiss zu finden. Jede Partei muss Verzichte leisten. Am Ende gibt es eine Einigung, aber für keine Seiten einen exekutierbaren Titel, um das Vereinbarte durchzusetzen.

Wie ist das in Europa? Gräbt die Mediation hier auch der Schiedsgerichtsbarkeit das Wasser ab?

Nein. In Europa hat die Schiedsgerichtsbarkeit stark an Bedeutung gewonnen. Gerade große Unternehmen sehen bei hohen Streitwerten für sich klare Vorteile: Ein Tribunal von Experten entscheidet in kurzer Zeit und abseits der Öffentlichkeit. Auch die Kosten sind geringer. Bei allen Abwägungen ist die Mediation daher für europäische Parteien keine Alternative. Ganz anders ist das im Familienbereich: Hier kann ich zu Mediation nur raten. Sie trägt dazu bei, die Beziehungen der Beteiligten aufrechtzuerhalten, denn – anders als bei einem Gerichtsverfahren – es gibt danach keine Verlierer oder Gewinner.

Sie haben einmal gesagt: Schiedsrichter suchen nach gerechten Lösungen. Richter hingegen sprechen Recht.

Ja, das halten Kritiker der Schiedsgerichtsbarkeit auch gerne entgegen. Und doch ist es gleichzeitig auch ihre Stärke. Schiedsrichter berücksichtigen auch wirtschaftliche Komponenten eines Streits, sie erwägen nicht nur Recht, sondern auch Gerechtigkeit. Zwei Begriffe, die vor dem staatlichen Richter nicht immer dasselbe bedeuten.

Vielleicht ist diesen Kritikern bei dem Gedanken unwohl, sich bei der Lösung eines Konflikts auch auf das Gerechtigkeitsempfinden von Schiedsrichtern zu verlassen. Was für den einen gerecht ist, kann der andere als unfair betrachten.

Zur Klarstellung: Schiedsgerichte wenden wie staatliche Gerichte das Recht an, das auf Gesetzen und Judikatur basiert. Sie haben aber häufig in der Auslegung mehr Zeit und Nähe zum Fall, als staatliche Richter sie haben können. Die Schiedsrichter und Verfahrenssprache bestimmen die Parteien selbst, das Verfahren läuft in konzentrierter Weise ab, das hilft ihnen, Recht, aber auch Gerechtigkeit der Entscheidung besser zu akzeptieren.

Inwieweit spielt das kulturelle Verständnis davon, wie Konflikte am besten zu lösen sind, bei der Frage staatliches Gericht oder doch lieber Schiedsgericht eine Rolle?

In den USA hat – wie erwähnt – Mediation maßgeblich Terrain bei der Streitbeilegung gewonnen. Im europäischen Umfeld betrachtet man sie hingegen mit Misstrauen. In Österreich und Deutschland wiederum genießen staatliche Gerichte hohes Vertrauen und stellen national den Standard für die Entscheidung von Streitigkeiten dar. Und die Schiedsgerichtsbarkeit ist international das zentrale Instrument der Konfliktlösung. Sie ist völlig unabhängig von nationalen Rechtskulturen. Aber dennoch muss sie sich in Acht nehmen.

Wovor?

Auf der einen Flanke nicht von der Mediation und auf der anderen nicht von den staatlichen Gerichten angegriffen zu werden.

So besorgt sind Sie? Fehlt in einem internationalen Vertrag heute eine Schiedsklausel, gilt das als grober Kunstfehler des Anwalts.

Allerdings. Fritz Schönherr (der Gründer der Kanzlei Schönherr, Anm.) prophezeite genau diese Entwicklung in einem Referat vor vielen Jahren. Und wissen Sie, was der Doyen der österreichischen Anwaltschaft, Viktor Cerha, damals dazu gesagt hat?

Was denn?

„Ja der junge Schönherr, wie sich der das vorstellt. Niemals wird die Schiedsgerichtsbarkeit den Gerichten in wesentlichen Fällen nahekommen können!“ Er hat sich geirrt. Denn heute ist die Entscheidung für ein Schiedsgericht im internationalen Kontext tatsächlich zwingend geworden.

Und dennoch muss sie ihre Stellung immer wieder behaupten.

Ja, aber sie muss nur die erwähnten Stärken ausspielen. Dann gibt es weiterhin zu ihr keine Alternative.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2013)

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